Wenn die Kunst am seidenen Faden hängt

Die Galerie Oberwelt zeigt neue Rauminstallationen des Künstlers Michael Göring

Ich sehe was, was du nicht siehst, und das ist Kunst. So könnte das Motto Michael Görings lauten, der in vier Wohnungen in Stuttgart und Umgebung künstlerische Arbeiten in den Alltagskontext eingeschmuggelt hat. Kleine Installationen, die erst auf den zweiten Blick wirken, wurden in das Wohnambiente integriert. Die große Schockwirkung gilt es zu vermeiden, keine knalligen Signale, sondern Arbeiten, die sich subversiv in das Blickfeld des Betrachters einschleichen. Eine Dia-Installation, welche buchstäblich durch die Blume, nämlich mitten durch Stechpalme und Zimmerfarm hindurch, Abbildungen der schedelschen Weltchronik auf die Wand projiziert, gehört zu den subtilen Arrangements. Oder eine maßgeschneiderte Minibibliothek, die sich in den Wandregalen des Wohnzimmers versteckt. Möbel wurden in verkleinertem Maßstab nachgebaut, Alltagsgegenstände wie Vasen und Lampen unter Tischen angebracht oder an "unmöglichen'' Orten montiert. Ungewöhnliche Blickwinkel und Maßstabsverkleinerungen gehören zum inszenatorischen Repertoire des Künstlers. Dort, wo der Blick nicht mehr fokussiert, ist der Tatort des Künstlers. Die künstlerischen Eingriffe der geheimen Mission Michael Görings waren auf Zeit installiert. Die Galerie Oberwelt dokumentiert in der Ausstellung "Besuch'' nun durch Fotografien, Projektionen und kleine Schauobjekte diese künstlerische Ein- und Unterwanderung. Der Künstler Göring nimmt durch seine gegenwärtige Rauminstallation auf das vergangene Projekt Bezug. Filigrane Glasvasen im Murano-Blau, rustikales Steinzeug oder die gutbürgerliche Variante des Tonkruges mit Streublümchen. Die Geschirrgegenstände sind durch einen Kunstgriff an die Decke montiert. Aufgeblasene Luftballons, welche in die Öffnung der Behältnisse versenkt wurden, sind mit Fäden verbunden. So schweben die Objekte scheinbar schwerelos im Raum. Ab und zu siegt jedoch die Schwerkraft über die fragile Konstruktion, und das Objekt zerschellt am Boden der Tatsachen. Der Zufall führt dabei Regie. Aber Scherben bringen ja Glück - hoffentlich auch dieser Ausstellung. Bis zum 12. Mai in der Oberwelt e.V., Reinsburgstraße 93, Besichtigung nach telefonischer Vereinbarung, Tel. 0711-85 80 30.

Valerie A. Hammerbacher

Stuttgarter Zeitung, 8. 5. 2000

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