Beobachtet man die aktuellen Diskussionen um die moderne Gesellschaft,
so zeigt sich eine paradoxe Situation. Obgleich wir doch wissen, dass
die Ökonomie - neben der Politik, der Wissenschaft, der Kunst usw.
- nur eines von verschiedenen Funktionssystemen der modernen Gesellschaft
ist, dominieren in der Politik und auch in weiten Teilen der Massenmedien
die Diskurse des Neoliberalismus. In ihnen wird die moderne Gesellschaft
primär unter ökonomischen Gesichtspunkten betrachtet und in
der Komplexität ihres soziokulturellen Lebens auf ökonomisches
Handeln reduziert.
Aus der Perspektive eines soziologischen Gesellschaftsverständnisses
kann das nicht richtig sein. Die Reduktion von Gesellschaft auf Ökonomie
erweist sich vielmehr als Ideologie. Sie scheint dabei die Funktion
zu haben, die Ungleichverteilung gesellschaftlichen Reichtums bei gleichzeitiger
Kollektivierung (z.B. der Vernichtung des ökologischen Systems
oder der soziokultureller Lebenswelten) und Individualisierung (z.B.
der subjektiven Zurechnung von Arbeitslosigkeit) gesellschaftlicher
Kosten zu verschleiern. Die Frage, ob es nicht auch Alternativen zu
einer neoliberalen Modernisierungspolitik gibt, die gegenüber den
soziokulturellen und ökologischen Kosten eigentümlich immun
ist, wird kaum mehr gestellt. Diese Fragen auszugrenzen, bedeutet allerdings,
die existentiellen Lebensinteressen der Mehrzahl der Menschen, die unter
den Bedingungen der modernen Gesellschaft ihr Leben führen und
auch: führen müssen, zu ignorieren.
In diesem Seminar soll es deshalb darum gehen, sich ein realistischeres
Verständnis des aktuellen gesellschaftlichen Modernisierungsprozesses
zu erwerben. Dabei sollen in einem ersten Schritt Texte soziologischer
Autoren gelesen werden, die den Bedingungszusammenhang von Gesellschaft
- Ökonomie - Subjekt problematisieren. Des Weiteren soll die die
Sozialstaatsproblematik sowie den politischen Verarbeitungsstrategien
ökonomischer Systemkrisen nachgegangen werden. In einem weiteren
Schritt wird es darum gehen, die Frage nach der Verklammerung von ökonomi-schen
und kulturellen Entwicklungen zu rekonstruieren. Dabei soll die Genese
als auch die Kritik einer Lebenskultur, die in der Arbeit ihr zentrales
Sinnmedium sah, anhand ausgesuchter Quellen nachgezeichnet werden.
THEMEN
1. Einleitung: Gesellschaft im Umbruch und die Frage nach den Sub-jekten
2. Gesellschaft und Ökonomie und Subjekte in der soziologischen
Ge-sellschaftstheorie (Marx, Bordieu, Luhmann).
3. Gesellschaft und Politik: Der Einbruch struktureller Amoral und die
Ausdifferenzierung des Sozialstaates
4. Gesellschaft und Kultur: Zur Genese und Kritik einer arbeitszentrierten
Lebenskultur