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Besucher im Detroit Institut of Arts vor einem Wandgemälde von Diego Rivera

Schülerinnen der Catherine Fergusan Academy, einer Highschool für minderjährige Mütter

World Headquarter der Ford Motor Company im Vorort Dearborn

Ehemaliger Hauptbahnhof an der Michigan Avenue, Innenstadtgebiet Detroit

Heuweide an der Warren Street, östlicher Innenstadtbereich





Lee Burns, Ingenieur im Ruhestand und Mitbegründer des Detroit Agriculture Network

„Detroit Industries“ Video und Vortrag

Annette Weisser / Ingo Vetter (Berlin)


In Detroit macht der Fordismus seit fast hundert Jahren Experimente mit lebenden Menschen ­ die aber experimentieren zurück, kompostieren Autobatterien oder entgiften den Boden durch das Anpflanzen von Alfalfa. Als wir hörten, daß im Stadtgebiet von Detroit Landwirtschaft betrieben würde, hatten wir spektakuläre Szenerien vor Augen von Maisfeldern zwischen zerfallenden Fabrikhallen, die einer völlig verarmten und von "der Regierung" im Stich gelassenen Bevölkerung das nackte Überleben sicherte. Wer und vor allem warum in Detroit Land bestellt, ist jedoch wesentlich interessanter als die Tatsache, daß das geschieht: Denn wenn es in Detroit eines im Überfluß gibt, dann brachliegendes Gelände. Das war nicht immer so. In der Blütezeit Detroits der 20er bis 60er Jahre entstanden zwischen den Automobilfabriken der "Großen Drei" ­ Ford, General Motors und Chrysler ­ ausgedehnte Wohnsiedlungen. Die Entvölkerung nahm ihren Anfang 1967, als die aufgestaute Wut der afroamerikanischen DetroiterInnen über eine unverhohlen rassistisch agierende Polizei sich entlud in wochenlangen Straßensschlachten. Danach begann der Exodus der weißen Mittelschicht in die Vororte. Durch den Einbruch des US- Automobilmarktes im Zuge der ersten Ölkrise von 1971 verloren Tausende ihren Arbeitsplatz, und als sich der Markt im Laufe der 80er Jahren wieder erholte, hatten die Konzernchefs entdeckt, daß es sich im gewerkschaftlich unorganisierten Süden der USA reibungsloser produzieren ließ als in Detroit. Über Jahre hinweg wurden viele der leerstehenden Häuser in der "Devil´s Night"­ der Nacht vor Halloween ­ abgefackelt, ein Spektakel, an dem sich neben Kids aus der Nachbarschaft auch Pyromanen aus dem ganzen Land beteiligten. Die übriggebliebenen Ruinen wurden zum größten Teil abgeräumt, ausgedehnte Wiesenlandschaften entstanden.

Oft ist inmitten einer solchen Brache ein Stück kultiviert, von der Straße aus kaum zu erkennen: Unter dem Vorwand, daß der Verkehr behindert würde oder flüchtige Verdächtige im Dickicht verschwinden könnten, werden beispielsweise die Alfalfa-Felder regelmäßig von Angestellten der Polizei abgeräumt. Vor allem soll damit aber vehindert werden, daß sich die Kleinfarmer in den Innenstadt etablieren und damit die Nutzungskonzepte der Stadtverwaltung behindern. Diese betreibt die "Aufwertung” der ghettoisierten Quartiere vornehmlich durch die Ansiedlung von (weißem) Kapital, welches aus den Vororten zurück in die Stadt geholt werden soll. Der Zerfall leerstehender Häuser, Drogenhandel oder Prostitution werden bewußt toleriert in Gebieten, für die ein konkreter Bebauungsplan vorliegt. Dadurch fallen in diesen sogenannten "Enpowerment Zones" die Grundstückspreise in den Keller, die letzten AnwohnerInnen verlassen das Quartier oder werden zwangsumgesiedelt. Wenn sich innerhalb einer bestimmten Frist keine Käufer finden, fallen die Grundstücke an die Stadt. Die wiederum kann dann den Interessenten große, zusammenhängende Flächen zu Dumpingpreisen anbieten. Die Besetzung bzw. der Ankauf von Land durch die KleinfarmerInnen durchkreuzen diese zynische Spekulation.

Ein unbebautes Grundstück kostet in Detroit zwischen $500 und $3000. Viele derjenigen, die in der Stadt geblieben sind, haben Land hinzugekauft oder ihre Privatgärten ausgedehnt auf verlassene Nachbargrundstücke. Ungefähr hundertfünfzig dieser KleinfarmerInnen sind im "Detroit Agriculture Network" organisiert, sie verkaufen ihren Überschuß auch auf dem samstäglichen "Farmer´s Market” im Ostteil der Stadt. Das Motto des D.A.N. ­ "Growing People and Communities" ­ deutet jedoch bereits daraufhin, daß es nicht vordergründig um die Erzeugung von billigen und gesunden Lebensmitteln geht ­ das Hauptinteresse der FarmerInnen ist vielmehr die Verbesserung der sozialen Beziehungen im direkten Lebensumfeld. Besonders Kindern und Jugendlichen soll durch die gemeinschaftliche Arbeit in Schul- oder Nachbarschaftsgärten Selbstvertrauen vermittelt und die individuelle Entwicklung gefördert werden, um Perspektiven jenseits ihrer bedrückenden Alltagserfahrung aufzuzeigen.

Lee Burns, Ingenieur im Ruhestand und Mitbegründer des Detroit Agriculture Network (Auszüge aus einem Videointerview vom 2.6.2000):

Ich habe über 700 Pfund Wassermelonen gezogen auf einem halben Quadratmeter. Ich habe sie an den Garten- zaun gehängt. Ich wollte den Leuten hier zeigen, daß so etwas möglich ist, auch wenn man keinen großen Garten hat. Zuerst haben sie die Melonen geklaut. Jedes Mal, wenn ich einen dabei erwischt habe, habe ich gesagt: Sieh mal, da drüben sind noch mehr. Sag´ deinem Cousin Bescheid, der hat sich vor ein paar Tagen auch welche geholt. Bring´ ihm welche mit. ­Was passierte dann? So erreicht man die Leute! Ab und zu sagt dann einer: Ich will das auch können. Willst du es wirklich wissen? Ja, ich will es wirklich wissen. Ich habe noch nie so große Wassermelonen gesehen. Wie haben Sie das gemacht, Mr. Burns? Okay, komm´ abends mal vorbei, wenn ich Zeit habe, zeige ich dir, wie´s geht. Du wirst bei dir drüben so große Melonen ziehen, daß die ganze Nachbarschaft zu Besuch kommt zur Erntezeit. ­Wann haben Sie beschlossen, Ihren Garten für die Nachbarschaft zu öffnen? Oh, im selben Moment, als ich begonnen habe, den Garten anzulegen. Die Bearbeitung des Bodens und die Verbesserung der Beziehungen innerhalb der Nachbarschaft gehen Hand in Hand. Die Gemeinschaft ist ein grundlegender Bestandteil des gesamten Entwicklungsprozesses, denn die Kinder in der Gegend essen mehr von unserem Obst und Gemüse als wir selbst. Gemeinschaft- liches Handeln bildet den Nährboden für menschliche Entwicklung, man muß das bereits in seiner elementarsten Form miteinbeziehen. Das meine ich, wenn ich sage: Ich pflanze Menschlichkeit. Man kann einen Menschen nicht lehren, 5000 Jahre in die Zukunft zu blicken. Das gehört nicht zur genetischen Grundausstattung des Homo sapiens. Man kann diese Fähigkeit nicht erlernen, sondern nur erwerben. Wenn man einen Baum pflanzt, der in sieben Jahren Früchte trägt, ist das die erste Lektion. Wenn man einen anderen Baum pflanzt, der in 15 oder 20 Jahren Früchte trägt, ist das eine ganz andere Sache. Dann gibt es noch Bäume, die erst in 200 oder 300 Jahren Früchte tragen. Das ist wieder eine andere Lektion. Um sich aber einen Überblick über die gesamte Situation zu verschaffen, muß man alle drei Bäume nebeneinander pflanzen.



Freitag, 24.November 2000, 20 Uhr

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