Während in Basel die Art Basel 32 stattfindet, öffnet die Kunsthalle
eine Woche lang ihre Räume für eine Messe eigener Art: FREIE WAHLEN
- Junge Kunst: Selbstorganisation und Marktsituation. Die Kunsthalle
stellt sich vom 11. bis 17. Juni 2001 als Plattform junger selbstorganisierter
Kunst zur Verfügung und befragt damit den Teil der Szene, der nicht,
noch nicht oder nicht mehr Kunstmarkt ist: die Kunstöffentlichkeit im
konzentrierten Sinn.
Kurt Grunow berichtet von der Messe:
LEISTUNGSKUNSTKURS
Die staatliche Kunsthalle Baden-Baden ist derzeit Schauplatz einer Versammlung
von rund 80 KünstlerInnengruppierungen aus dem selbstorganisierten Bereich.
Angelockt vom Heilsversprechen sich in einer öffentlichen Kunstinstitution
hohen Ranges im Süden der Republik zeitgleich und unweit der Art Basel
zum Nulltarif zu präsentieren, reisten Gruppen aus ganz Deutschland an,
um ihre Initativen, Produkte, Präsentationen, Distributionen aus- und
vorzustellen.
Vorangegangen war eine öffentliche Ankündigung und Ausschreibung des Vorhabens
per Internet auf die sich, wie zu erfahren war "für die Veranstalter überraschend
viele" Interessierte meldeten.
Die so entstandene Ausstellung mit dem Titel "Freie Wahlen", initiiert
von Matthias Winzen, dem derzeitigen Leiter der Kunsthalle, erfüllt diesmal
also die ehrwürdigen Kunsträume der Kur-und Casinostadt mit dem Glamour
der künstlerischen Selbstorganisation.
Die Präsentation ist als Messe konzipiert und dauert eine Woche, in der
diverse Performance- und Videoprogramme der anwesenden Gruppen, Vorträge
und Podiumsdiskussionen stattfinden.
Der Arbeitstitel "Selbstorganisation und Marktsituation" umrahmt hierbei
die diversen Diskussionstermine, zu denen Künstler, Manager, Jungunternehmer,
Publizisten, Politiker u.a. geladen sind, um auf dem zentral angeordneten
Podium inmitten eines bizarren Marktplatzes selbstorganisierter Sensationen
unter Beteiligung von Matthias Winzen zu debattieren.
Zumindest die Eröffnungsreden und die nachfolgende Podiumsdiskussion mit
dem Titel "Unternehmer oder Genie" geriet zu einer seltsam marginalen,
wenig Aufmerksamkeit und Konzentration auf sich ziehenden Angelegenheit.
Die sattsam bekannten Fakten prekärer ökonomischer Bedingungen unter denen
die meisten Künstler - eigentlich immer selbstorganisiert - zu arbeiten
haben wurden vorgetragen, deren profitable Einbindung in wirtschaftliche
Produktionsprozesse erwähnt, sowie wenig mitreißende Kunstmarketingkonzepte
vom Vertreter eines jungen start-up-Unternehmens vorgestellt.
Eine Atmosphäre zufrieden zelebrierten Selbstgenusses herrscht vor an
den diversen Bars und aus dem Boden gestampften Exklusiv-Galerie-Imitaten,
Trash-Installations-Konglomeraten, Video-Ecken und Doku-Präsentationstischchen.
Dezentralisation, Dispersion läßt fraglich erscheinen, ob im Rahmen des
Baden-Badener Settings eine Debatte auf zentralem Podiumsdiskussionsniveau
von der Gesamtheit der Anwesenden überhaupt gewünscht oder angestrebt
ist. Man scheint vielmehr auf die intimen Kristallisationspunkte um den
eigenen Stand herum zu setzen, das architektonische Ambiente der Kunsthalle
scheint alle möglichen Fragen bereits zu beantworten. Selbst Gerhard Schröder
als Podiumsdiskussionsteilnehmer würde in diesem Rahmen Gefahr laufen
keine besondere Aufmerksamkeit seitens des allseits mit sich beschäftigten
Publikums zu erlangen...
Ein (unmöglicher) Vergleich mit einer strukturell verwandten Veranstaltung:
die Messe 2ok in Köln 1995 - von Künstlergruppen selber organisiert traf
man sich parallel zur Art Cologne in einem abgewrackten, kalten Postfrachtgebäude
- kein Ort, um sich gemütlich einzukuscheln, es ging latent dauernd um
etwas, ständig wollte diskutiert, erklärt, geklärt werden. Matthias Winzen
war damals Chef des Siemens-Kulturprogramms und zog damals, nach harten
Auseinandersetzungen, für diese Veranstaltung zunächst zugesagte Siemens-Sponsorengelder
wieder zurück, z.T. auch deshalb, weil dieses Geld von einigen beteiligten
Gruppen aus politischen Gründen abgewiesen wurde.
Ohne Geld sind die Protagonisten des derzeitigen Selbstorganisations-Spektakels
allerdings auch diesmal: ohne eine Mark Benzingeld wurden mitunter äußerst
aufwendige Installationen, Arbeitszeit, Mühe und Kosten ins Werk gesetzt,
und ohne Frage wieder ein Fanal herzzerreißender Selbstaufopferung inszeniert,
auch wenns allen nur um sich selbst geht. Beklagen kann sich darüber eigentlich
keiner, denn klipp und klar wurden im Vorfeld die Zero-Budget-Bedingungen
ausgesprochen.Ungebrochen also sind die unerschöpflichen und umfassenden
Leistungsbereitschafts-Resourcen aus den Vorhöfen des Traumlands Kunst.
Besonderer Höhepunkt in diesem Zusammenhang ist der Ausstellungskatalog:
Eine dreiköpfige Künstlerinnengruppe nahm sich dieses Problems an und
produzierte hierzu auf eigene Kosten ein Sammelheft mit Selbstdefinitions-Texten
der beteiligten Gruppen und eingearbeiteten Leerfeldern für selbstgestaltete
Farbbilder der Gruppen. Diese wurden als Klebebilder auf Etiketten übertragen
und sind zusammen mit dem Heft von allen Beteiligten und Interessierten
käuflich zu erwerben, was einen ausgeprägten Sammeltrieb und Tauschhandel
in Gang bringt.
Es bleibt alles in allem die Frage, ob mit dem Begriff "Selbstorganisation"
noch irgend etwas relevantes oder greifbares außer Selbstausbeutung oder
start-up-Mentalität gemeint sein kann. Ist das künstlerische Abseits immer
ein öder Ort, eine Durchgangsstation für Anfänger oder auch ein selbstbewußt
reklamiertes Netzwerk kultureller und lebenspraktischer Alternativen?
Die Präsentation endet am Sonntag, den 17.06 im Chill Out.