Strategien der Differenz und Wiederholung im türkischen Mainstream
Kino der sechziger und siebziger Jahre (for english
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Der Vortrag „REMAKE, REMIX, RIPOFF“ wird sich im wesentlichen
mit dem Phänomen der Kopie im Film, dem Remake, beschäftigen
und wird versuchen zu ergründen warum gerade das türkische
Kino eine Unmenge an Remakes produzierte und inwieweit diese neuverfilmten
Stoffe, gejagt durch einen türkischen Filter, eine Verschiebung
im Vergleich zum Original erfahren haben.
Das Remake funktioniert als Träger kultureller Dekodierungen, die
dazu dienen einen ursprünglich fremden Stoff dem eigenen lokalen
Publikum zugänglich zu machen, indem unter anderem lokale moralische
Wertvorstellungen und gesellschaftliche Tabus berücksichtigt werden.
Somit besetzt es eine wichtige Übersetzerrolle und gleichzeitig
geht es neue künstlerische Wege. Die Untersuchung bezieht sich
auf Phänomene interkultureller Wahrnehmung und Artikulation, auf
ein bisher noch wenig erforschtes Gebiet der jüngeren Filmgeschichte.
Gegenstand der Untersuchung ist das türkische Kino, im Detail das
türkische Popcorn Kino (Yesilçam), das in den Jahren 1960
bis 1980 einen immensen Output generiert hat. Man kann von einem Goldrausch
unter den Filmproduzenten sprechen, die, aufgrund von Steuervergünstigungen
auf türkische Filme jeglichen Inhalts, hohe Gewinne einfuhren.
Mit der Lockerung der Pressefreiheit und dem Zugewinn anderer ziviler
Rechte nach dem Militärputsch 1960, blüht das kulturelle Leben
der Türkei für eine kurze Zeitspanne extrem auf. Diese Entwicklungen
machen sich im Film und in der Musikbranche besonders stark bemerkbar.
Eine Handvoll türkischer Filmemacher, von denen die wenigsten jemals
eine Filmhochschule von innen gesehen haben, begann während dieses
Booms unter abenteuerlichen Umständen für einen sehr hungrigen
lokalen Markt Filme zu produzieren. In der Blütezeit der türkischen
Filmindustrie wurden jährlich über dreihundert Filme fertiggestellt.
Meist handelte es sich um Billigproduktionen ohne besonderen cineastischen
Wert. Es wurde viel voneinander und aus Filmen aus dem Ausland kopiert,
gesampelt, adaptiert, vertürkischt, vereinfacht und geklaut.
Es ist wichtig zu wissen, dass es zu dieser Zeit paralell ein türkisches
Autorenkino gab; das soll uns aber nicht stören.
Die immense Nachfrage an Filmen führte dazu, dass den Drehbuchautoren
schnell die Stoffe ausgingen. Deshalb wurden viele Geschichten mehrfach
gedreht. Man begann Trivialliteratur zu verfilmen, Comichelden auf die
Leinwand zu bringen, aus der einheimischen wie westlichen Literatur
zu adaptieren (Hamlet, Don Quichote, From Mice and Men) und Remakes
von ausländischen Filmen zu drehen. So entstanden türkische
Versionen von Superman, Zorro, Tarzan, Drakula, James Bond, Flash Gordon,
Mr. Ed, Rambo, E.T. und Star Trek aber auch Adaptionen von Filmen wie
William Friedkins “The Exorcist” und Billy Wilders "Some
Like It Hot".
Wegen fehlender Urheberrechtsgesetze war es möglich jeden Stoff,
jedes fremde Footage, wie ausländische Filmmusik oder Special-Effects-Szenen
aus fremden Filmen, völlig legal zu benutzen. Somit war es in der
Türkei selbstverständlich, ganz im Gegensatz zur aktuellen
globalen Entwicklung, aus dem kulturellen Pool der gesamten Welt zu
schöpfen.
Diese Praxis führte von der Eins-zu-eins Kopie zum eklektischen
Mischmasch von verschiedenen Genres und Inhalten; bisweilen bizarre
Remixe, die an das moderne Sampling unserer Gegenwartsmusik erinnern.
In dieser Untersuchung um das Wesen türkischer Remakes ist eine
Betrachtung nötig, die die komplexen Vorgänge transkultureller
Wahrnehmung und die tatsächlich erlebte gesellschaftliche Wirklichkeit
der Türkei einbezieht. Eine Autopsie des türkischen Mainstream
Kinos der Sechziger und Siebziger Jahre mit ihren politischen, sozialen
und kulturellen Begebenheiten setzt geschichtliche Grundkenntnisse voraus.
Besonderes Augenmerk werden wir daher auf die Probleme der Identität
und Identitätsfindung seit der Gründung der Türkischen
Republik 1923 und ihre Ausdrucksform im nationalen Kino richten.
In der Türkei herrscht eine eigentlich kolonialisierten Ländern
zueigene hybride kulturelle Wahrnehmung und Artikulierung. Sie bezieht
sich auf eine Kultur, die verschiedenen innertürkischen, westlich-christlichen
und orientalisch-muslimischen Einflüssen ausgesetzt und immer wieder
aufgefordert war diese neu zu interpretieren, zu übernehmen oder
abzulehnen.
Mit Blick auf die Verwestlichung des Osmanischen Reiches schon viele
Jahrzehnte vor der Republikgründung wird der Vortrag anhand verschiedener
künstlerischer Strategien der Filmemacher die Repräsentation
des Westens und der dem Westen zugeordneten Attribute beleuchten. Der
Einzug der Moderne angetrieben durch die Kemalistischen Kulturreformen
und der voranschreitenden Industrialisierung des Landes hinterliess
grosse Wunden in weiten Teilen der Bevölkerung. Die Artikulation
dieser ambivalenten Gefühle übernahm das Kino, da die Filme
auf die Bedürfnisse der Zuschauer zugeschnitten waren.
Im Anschluss an den Vortrag möchte ich meinen Found-Footage Film
»Do Not Listen« zeigen, der den Film »The Exorcist«
mit seinem türkisch/islamischen Klon »Seytan« zusammenführt.