Im Zuge der Veranstaltung ist "Oberwelt aktuell" erschienen, die Oberwelt im Tageszeitungsformat, das die Präsentation zusammenfasst und vielfältig ergänzt.
Mit Beiträgen, die weit über den Tag hinaus Aktualität und Gültigkeit haben, kostet die verbliebenen Exemplare nur je 43 Cent bzw. 2,50 Euro mit Versandkosten. Zu bestellen über die Kontaktadressen auf dieser site.
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Diana Ebster, program angel
Die optimale Varianz – oder zur Kosmologie selbstorganisierter Kunsträume und unabsehbarer Kunstwerke
Ich gebe es zu, der Titel ist geklaut. Der Begriff der „optimalen Varianz“ gehört einem der aktuellen Beiträge eines Wirtschaftsmagazins, das sich dem Thema der Komplexität verschrieben hat. Dessen Interesse, sich offen gegen Vereinfachung auszusprechen, scheint passend für die Beschreibung von künstlerischen Organisationsformen wie der Oberwelt e.V. Die geht so weit den eigenen Jubiläumskatalog zum 30jährigen Bestehen „eine Gebrauchsanweisung“ zu nennen: „Die Oberwelt ist eine öffentlich zugängliche Apparatur, deren Bedienungspersonal im Laufe von Jahren wechselt.“ An diesem Bedienungspersonal liegt es also. Der Raum ist immer nur die leere Hülle, sie wird gefüllt mit einem Gesamtkomplex an Ideen, und je mehr an Diskursen sich daran anklinken lassen umso besser. Spezialisierung war gestern. Vom neuen Rezipienten wird mehr verlangt als nur bloße Ergebenheit, er ist Teil der Produktion.
Selbst beschreibt sich die Oberwelt auch schon mal gerne als „Kosmos“ und gar nicht so unähnlich haben, die program angels des lothringer13/laden im vergangenen Oktober zum 5jährigen Bestehen ihres Kunstraumes die Offenheit des Programms, dessen unspezialisierte Vielfalt und das permanente Switchen zwischen den Ebenen der Präsentation, der Produktion, des Zitats und der Kritik, der Diskussion, Reflexion und erneuten Verunklärung als Qualität beschrieben. Damit verbunden ist immer auch das Prinzip des Teams oder der Gruppe. Mit dem nicht hierarchischen Handlungsmodell des Mehrpersonenkonstrukts hat sich nicht nur die Organisation von Kunsträumen, sondern auch das Modell vom genialischen Künstler, der für sich alleine schöpft und die Vermittlung dem Markt oder der Kritik überlässt, verändert.
Eines der langfristiger angelegten Projekte der Oberweltkünstler
Peter Haury und Jens Hermann ist Wotorwoerld. Wotorwoerld ist das Trash-Remake
des monumentalen Hollywood-Endzeitepos „Waterworld“ von
Kevin Costner. Die Dreharbeiten dazu realisiert „Dein Klub“
seit 2002 im Klubraum der Oberwelt (vormals Abstellkammer) mit eigenen
Mitteln. Auf Tour gehen die Dreharbeiten im „Klon“, einem
maßstabsgetreuen Nachbau dieses Klubraums.
Es ist bezeichnend, dass sich dieser Komplex nicht eindeutig zuordnen
und in seinem Mehrwert klar definieren lässt. Er ist in sich –
vor allem im Verhältnis zu einem klassischen Werkbegriff - ein
vielgestaltiges Gebilde und es ist folgerichtig in Ordnung, dass sich
das Projekt nicht unmittelbar vollständig transzendieren lässt.
Zwar lässt sich auch über Wotorwoerld eine theoretische Diskussion
des Remakes, der Re-Inszenierung, oder der Appropriation, als künstlerischer
Strategie kritischer Aneignung, werfen, aber nachdem in den 80er und
90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts alles konzeptualisiert wurde,
lässt sich eine neuer Hang an der Verknüpfung des unauflösbar
Heterogenen rechtfertigen. Wotorwoerld zeigt optimale Varianz an künstlerischen
Mittel und Sujets. Wotorwoerld verbindet als Werk unterschiedliche Formen,
die von der Aktionskunst über Video, Performance, Installation
bis zur Konzeptkunst reichen. Das Projekt formuliert nichts fundamental
Neues. Die künstlerische Aneignung alltagsweltlichen Materials
ist ein alt bewährtes Spiel in der Kunst des 20. Jahrhunderts,
und nicht erst die Pop Art hat die Praxis der Bezugnahme, das Aufgreifen
kommerzieller Vorgaben und deren künstlerische Neuinterpretation
salonfähig gemacht. Das Thema Film, als Kultur prägender und
Weltbild und Wahrnehmung beeinflussender Medienmaschinerie ist breit
diskutiert. Die Erfahrung bei Wotorwoerld - umso mehr, wenn der passive
Kunstbetrachter zum aktiven Akteur des Remakes wird – bleibt aber
eine jeweils eigene. Aus der Involviertheit entstehen eigene Motive.
Das alles vor dem Hintergrund der gefloppten Bemühung Costners
ein Endzeitepos mit grünen Botschaften zu stiften.
Diese Botschaften werden durch die Übernahme der Tonspur und den
eindrucksvollen Text des Films beibehalten. Die Bildebene dazu aber
wird vollständig neu erzeugt und folgt anderen Regeln. Durch das
permanent wechselnde Personal des Films, in den nicht nur die Künstler
und deren Freundeskreis, sondern auch das Publikum eingebunden sind,
verschiebt sich jede Identifikation mit den filmischen Figuren. Das
mit improvisierten Mitteln erzeugte Bild der Handlung könnte dem
perfekten Illusionismus der Hollywood-Unterhaltungsindustrie nicht ferner
stehen. Die Distanz zwischen bildproduzierender Industrie und Konsumenten
ist aufgelöst.
Zugleich wird das „Werk“ aber nicht beliebig, wenn Jens
Hermann und Peter Haury alle Drehtermine steuern und so den großen
Zusammenalt des Differenten im Blick haben. Ein Ergebnis wird neben
einem neuen Film, vor allem eine Unmenge von performativen Situationen
sein, die Teil dessen sind.
In dem Kosmos von Wotorwoerld lässt sich der Blick gegen alle Richtungen
wenden und wenn man so will ist man mitten drin, um von dort aus weiter
auf die Oberwelt zu sehen.
Rund um die Installation des Klons sind im Ausstellungsraum zahlreiche
ausgewählte Projekte von Künstlern des Stuttgarter Netzwerks
Oberwelt e.V. zu sehen, die als Satelliten den Kosmos erweitern.
Und noch eine letzte Weisheit aus dem Wirtschaftsmagazin als Rat für
den Kunstbetrachter: Mit Komplexität umzugehen heißt die
Rationalität des Alltags hinter sich zu lassen. Nein das muss man
nicht Esoterik nennen.“
Diana Ebster