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the
pen again
Maria
Grazia Sacchitelli
(english)Das Projekt nimmt das Zeichnen unter die
Lupe, es untersucht und analysiert Aspekte des Zeichnens.
Ausgangspunkt der Arbeit sind "Schmierblätter" aus Schreibwarengeschäften,
die die Künstlerin "übersetzt".
Indem sie anonyme Zufallszeichnungen als abstrakte Figurationen behandelt
und sich auf deren rein grafische Eigenschaften konzentriert, ihre Farbqualitäten
ignoriert, Formate vergrößert und dem ursprünglichen
Bildmaterial eine fremde Linienführung und Technik entgegensetzt,
vollzieht Maria Grazia Sacchitelli eine aufmerksame Analyse der formalen
Eigenschaften dieser Zeichnungen.
Fremde und beliebige Zeichen werden getreu kopiert und angeeignet und
entwickeln sich zu einem Bild. Die Ergebnisse dieses Prozesses bleiben
gleichwohl rätselhaft, sie können den Betrachter täuschen,
irritieren, und das ist so gewollt.
Sie erfüllen keine der üblichen Erwartungen an eine Zeichnung:
es gibt kein erkennbares Thema, keine persönliche Handschrift der
Künstlerin. Die Art und Weise, wie die Technik angewendet wird,
wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet.
Damit fordert Maria Grazia Sacchitelli unsere Sehwahrnehmung heraus.
In dieser Arbeit rückt zudem die Zeitkomponente in den Mittelpunkt:
indem die Künstlerin die flüchtig gekritzelten ursprünglichen
Blätter geduldig "übersetzt", entschleunigt sie
quasi deren ursprünglichen Entstehungsprozess. "The pen again"
beinhaltet in diesem Sinne auch eine Rückgewinnung flüchtig
verstrichener Zeit.
Eröffnung Freitag, 30. Mai, 19.00 Uhr
Besichtigung der Ausstellung bis 16.06.2008 - Freitage 6. 6. und 13.6
von 18 bis 20 Uhr und
Sonntage 8. 6. und 15.6 von 11 bis 13 Uhr (die Künstlerin ist anwesend)
sowie Mo 21.30 - 24h, und nach Vereinbarung unter Tel: 0711 - 6361231
Maria Grazia Sacchitelli
THE PEN AGAIN - Text von Kurt Grunow
Maria Grazia Sacchitelli präsentiert Zeichnungen, weiß gerahmt
hinter Glas, sorgsam an den Wänden angeordnet in der vertrauten Infrastruktur
eines Ausstellungsraumes für Kunst. In einem angrenzenden Raum ein
Tisch, auf dem, ebenfalls unter Glas, die Originalmotive zu den ausgestellten
Zeichnungen zu sehen sind. Es wird klar, daß die Künstlerin
minutiös genaue Übertragungen solcher hier auf dem Tisch gezeigter
Bildvorlagen angefertigt hat. In den gerahmten Bildern finden wir sie
vergrößert, die Farben wurden weggelassen und es wurden bei
diesem Kopiervorgang unterschiedliche Strich- und Zeichentechniken angewandt.
Bei den Vorlagen für Sacchitellis Zeichnungen handelt es sich um
kleine Papiere, die in Schreibwarenhandlungen bereitliegen, um verschiedene
Stifte, Kreiden, Schreibgeräte vor dem Kauf ausprobieren zu können.
Die Künstlerin sammelte diese unterschiedlich stark bezeichneten
Probepapiere und wählte eine spezifische Kopiertechnik für die
vergrößerte, von Hand gezeichnete, genaue Übertragung
dieser Strich- und Formkonstellationen.
Über die Zwischenstufe der Vergrößerung des Originalmotivs
per Fotokopierer werden die Blätter über einem Leuchttisch sorgfältig
mit Bleistift, Tusche oder Zeichenkreide auf Zeichenpapier übertragen.
Die Künstlerin ordnet sich hierbei in ihrer zeichnerischen Tätigkeit
vollkommen der Wiedergabe der gegebenen Konstellationen unter, nirgends
eine Hinzufügung, eine Veränderung oder sonstige Abweichung
von der Vorlage. Zu sehen sind allerdings völlig spontan und nahezu
absichtslos entstandene Spuren aus der Hand anderer; Kritzeleien, Linienschwünge,
Buchstaben, Wortaneinanderreihungen, angedeutete Körperformen, Schraffuren,
Kringel, Striche, Punkte, Flächen, wahrhaft informelle Strukturen,
an denen zumeist mehrere Autoren, selbstvergessen und wohl ohne sich untereinander
zu kennen, zu Werke waren. Die Künstlerin folgt diesen Zeichen mit
der Genauigkeit der Spurensicherung und hebt sie von einer Stufe beinah
vollkommener Bedeutungslosigkeit auf die Ebene eines künstlerischen
Werkes.
In künstlerischer Absicht in unserer Alltagswelt ein Motiv zu finden,
das unschuldig, unverbraucht und ergiebig genug wäre, um mit mimetischer
Genauigkeit abgezeichnet zu werden, das ist, sollte man meinen, eigentlich
unmöglich, doch Maria Grazia Sacchitelli ist dieses Kunststück
wohl gelungen.
Eine Vielzahl von Paradoxien sind diesen Transaktionen der Künstlerin
einbeschrieben - hier die hemmungslose Absichtslosigkeit, dort die selbstbeherrscht-disziplinierte
Unterordnung; hier die nahezu unidentifizierbare Einbettung in die Welt
des Alltags, dort die bedeutungsvolle Inszenierung auf künstlerischer
Ebene; hier das rasch entschlüsselbare künstlerische Konzept,
dort eine Vielzahl hieraus hervorgehender Bedeutungsebenen....
Gerade der zuletzt erwähnte Punkt verlangt eine stärkere Ausleuchtung.
Im Ausstellungsraum erscheinen die ausgestellten Zeichnungen an den Wänden
wie eine leise Referenz an gewisse Klassiker der Moderne: Archaisch-primitivistische
Zeichen, zufällig prägnant angeordnet, lassen Erinnerungen an
Blätter von Paul Klee aufscheinen. Völlig verlorene, der Form
entronnene Strichspuren lassen an Cy Twombly denken und schließlich
an das ganze methodische Projekt des Informel mit seiner Fortentwicklung
aleatorischer Verfahren und Haltungen auf dem traditionellen Gebiet des
Tafelbildes, zu denen u.a. der Surrealismus etwa in der Technik des automatischen
Schreibens angeregt hatte.
Irgendwie gelingt es diesen von Sacchitelli exponiert präsentierten
Kritzeleien, Interferenzen mit diesen Schulbuchweisheiten zu erzeugen;
mit den radikal subjektiven Gesten der Tachisten und abstrakten Expressionisten,
die sich allmählich erschöpften und schließlich in den
polymorphen, distanzierten, kühlen Oberflächen der Pop art und
Minimal art erstarrten.
So betrachtet spürt Sacchitelli in den Probierblättern der Schreibwarengeschäfte
eine Modellwelt auf, in der sich extrem verkleinert wie der auf dem Kopf
stehende Lichtfleck im Innern einer Camera Obscura, ein avantgardistischer
Teil der Kunstwelt der 50er Jahre abbildet.
Informelle Maler haben stets die besondere Bedeutung des Materials beim
Prozess der Bildentstehung betont. Prüfen, was es will und kann,
anstatt ihm vorausgeplante Formen aufzuzwingen - geht in der Modellwelt
des Schreibwarengeschäftes beim Testen eines Füllfederhalters
nicht genau dasselbe vor sich?
Es bereitet stets Schwierigkeiten, Laien in kunstpädagogischer Absicht
zu einer Haltung des "Entstehen-lassens" beim Bildermachen zu
bewegen - in der kleinen, avant-gardistischen Miniaturwelt der Probeblätter
beim Schreibwarenhändler scheint dies jedoch mühelos zu gelingen.
Die Frage der Präsentation dieser Blätter im künstlerischen
Kontext löst Sacchitelli durch die Anwendung einer Reproduktionstechnik,
die eng ans zeichnerisch-handwerkliche gebunden ist. Die wiederholten,
vergrößerten Zeichentexturen wirken dabei wie ein Bild vom
Bild und sind Unikate. Ähnlich wie bei der naturgetreuen zeichnerischen
Wiedergabe von Fotos oder Illustriertenbildern findet dabei ein Qualitätssprung
statt, der sich augenfällig bereits in der rein materiellen Aufwertung
des Originalmotivs zeigt, ausgelöst durch das Investieren von zeichnerischem
Fleiß und Konzentration.
Bei Sacchitellis Zeichnungen allerdings kommt hinzu, daß die Fleißarbeit
der Künstlerin überhaupt erst den Verdacht aufbringt, daß
diese Artefakte vom Schreibwarenhändler als Bilder' oder als
irgendetwas Bedeutungsvolles angesehen werden könnten. In diametraler
Umkehrung der ziel- und absichtslosen Haltung der Kunden bei der Entstehung
der Blätter im Schreibwarengeschäft ist die Künstlerin
völlig kalkuliert und planvoll zugange, um am Ende jedoch ein Bild
zu erzeugen, das wiederum vom Gegenteil ihrer hierbei praktizierten Haltung
erzählt.
Ihre zeichnerischen und präsentationstechnischen Maßnahmen
zielen ab auf die ästhetische Annäherung des Ausgangsmaterials
an das Tafelbild, dies erst schafft für den Betrachter die Grundlage
zur Reflektion in der beschriebenen Richtung - ein Angebot zum systematischen
Schauen und Reflektieren auf frei wählbaren Ebenen.
THE PEN AGAIN
Maria Grazia Sacchitelli
This project examines and analyses the process of drawing. The starting
point of the works is "jotting paper" collected from stationery
shops, which the artist then "translates". By treating the
chance drawings and doodles as abstract forms and by focussing on their
graphic qualities, ignoring colour, changing scale and by introducing
new qualities of line and drawing techniques, Maria Grazia Sacchitelli
analyses the formal characteristics of these drawings in-depth. The
artist copies and adapts the random symbols, drawn by people unknown
to her, to create a new image. The result of this process however remains
unclear; the new images intentionally baffle and confuse the viewer.
They do not meet the usual expectations of a drawing: there is no obvious
theme and no obviously individual drawing style. The way in which various
drawing techniques are used raises more questions than are answered.
Thus Maria Grazia Sacchitelli challenges our visual perception. The
element of time is also an important factor: by patiently "translating"
the original hastily scribbled notes the artist literally slows down
the original drawing process. In this sense "The pen again"
implies the recovery of time already elapsed.
30th May till 16th June
Opening: Friday, 30th May, 7pm
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