(english version) In der Werkgruppe der `Fadenzeichnungen´, die zugleich Projektion, Relief und Zeichnung sind, (…) projizieren diese materiellen Linien, die Fäden, abhängig von verschiedenen Lichtquellen, unterschiedliche (…) Schattenverläufe auf die Wand. Auf diese Weise wird in dieser Zeichnung der materielle Träger der Zeichnung vom visuellen Phänomen `Zeichnung´ getrennt: materielle Linien im Raum provozieren projizierte Schatten-Zeichnungen auf der Wand (…).
Die in die Wand gesteckten kleinen Nägel, senkrecht zur Wand und den Fäden verlaufend, erhöhen noch die sichtbare Materialität und Befremdlichkeit der Linien: die Verankerungspunkte dieser Linien erstrecken sich in den Raum, bringen also die dritte Dimension ins Spiel.
Thematisch gehen die Fadenzeichnungen (…) von den Raumlinien des Raumes aus, in dem sie installiert werden; sie greifen Raumlinien auf, führen sie im zweidimensionalen Bildraum weiter und erzeugen so ein lineares trompe l’oeil, eine Augentäuschung; diese aber täuscht nicht, sondern macht den Raum als geometrisch-architektonische Konstruktion deutlich. (…)
Dr. Johannes Meinhardt
Diffuses Licht im Ausstellungsraum akzentuiert das feine Liniengerüst der Architekturzeichnung. Werden Scheinwerfer und Lichtsteuergerät angeschaltet, beginnt das künstliche Licht zu „handeln“, Energie wird freigesetzt und die an sich „leblose“ Szenerie erscheint plötzlich wie beatmet. Die „belichtete“ Zeichnung verwandelt sich in einen Licht-Schatten-Raum, der auch schnell wieder verschwinden kann.
Mit Fragen (…) und Widerspruch begegnet Eva Borsdorf dem Beständigen und Unverrückbaren eines Ortes. Raum-Bildung ist für sie nicht die Schaffung von endgültigen und feststehenden Gegebenheiten, sondern die Gestaltung temporärer Raumansichten, präzise, wandelbar und flüchtig zugleich.
(…) Mit Tusche und weißem Papier geht Eva Borsdorf in die Natur, setzt sich unter einen Laubbaum oder Strauch, und überlässt der Natur die Choreografie. (...) Wie ein Bildgenerator wirft die Sonne stets neue Licht-Schatten-Projektionen auf das Papier, die Eva Borsdorf mit ihren bildnerischen Mitteln einfängt. Tag und die Dauer der Herstellungszeit sowie der jeweilige Baum (Nadel-, Laubbaum oder Strauch) werden im Bildtitel festgehalten und somit Veränderungen in einem zeitlich befristeten Verlauf dokumentiert - wie bei naturwissenschaftlichen Forschungsprojekten. Die Künstlerin muss schnell sein, um festzuhalten, was sich schon längst wieder (aufgrund der Erddrehung) in Bewegung befindet. Im Fluss der ständigen Veränderung von Lichtreflexen und Schattenverläufen wird der gegenwärtige Moment schnell zur Vergangenheit.
Dieses Nebeneinander von Vergangenem und Gegenwärtigem hinterlässt Spuren auf dem Papier - entsprechend dem Lauf der Sonne und den Wetterverhältnissen, z.B. der Intensität des Windes. Die Tusche verdichtet sich dort, wo sich Schattenfelder verschoben haben. Dadurch überlagern sich einzelne Farbschichten, suggerieren räumliche Tiefe. Immer und immer wieder andersartige schwebend-leichte oder fließende Licht- und Schattenspiele überziehen die einzelnen Blätter. Über die Ränder des Blattes hinweg scheinen sie sich weiter auszudehnen, wodurch jedes einzelne Bild Teil eines Kontinuums ständiger Veränderungen in Analogie zu Wachstumsprozessen in der Natur ist. (…)
Eva Borsdorf will nicht den Augenblick einfrieren, wie in der Fotografie, sondern verrinnende Zeit bildlich vergegenwärtigen. Bilder steten Fließens. Vom Wind bewegte Äste. Lichtinseln scheinen wolkenleicht im Bildraum zu schweben. (…)
Von wesentlicher Bedeutung für Eva Borsdorf ist der Prozesscharakter der Kunst, der die Form einer Untersuchung annimmt. (...)
Ihre auf die elementaren Medien Licht und Farbe, Linie, Helldunkel-, und Schattenwerte reduzierten Arbeiten, deren zentrales Thema der Raum ist, sind für den eiligen Besucher nicht geeignet. Nur derjenige, der sich auf ihre Werke einlässt und sich Zeit nimmt, wird hinter die Oberfläche schauen.
Dr. Heiderose Langer, Kunsthistorikerin
Eröffnung Freitag, 9. September, 19:00 Uhr
Besichtigung der Ausstellung bis Samstag, 24. September n.V. unter invitation(at)oberwelt.de