(english) Wir suchen nach einer Geschichte,
die auf einem Stück Land beruht, das für Menschen verboten ist - es
liegt auf einer Grenzlinie, die den Disterlucky-Wald und einen Ort
namens Hirschgespreng teilt (die Linie teilt auch die tschechische
und die deutsche Nation).
Wir untersuchen die Geschichten, die sich hier offenbarten, sowie
die Ursachen, warum Weltgeschichte sich in solch einen marginalen
und kleinen Ort eingeprägt hat, zu dem heute der Zutritt verwehrt
ist.
Wir rekonstruieren einen unbedeutenden Flecken Land durch übrig gebliebene
Archive und Erzählungen. Das schweigende Reich von Wäldern hat uns
sein Bild aufgezwungen. Können wir es auch manipulieren und existiert
es überhaupt?
(Begleittext der Künstler in der Ausstellung)
Kern der gemeinschaftlich entwickelten Installation ist eine Serie
von Texten der Künstlerin Marie Lukáčová. Diese schildern, beginnend
mit dem Ende des ersten Weltkriegs und bis heute reichend, in Form
von Polizeiprotokollen, Briefen oder Zeitungsmeldungen verschiedene
Vorgänge in einem tschechischen Waldstück im Grenzgebiet nahe Deutschland.
Zunächst wirken sie bis auf den Ort unzusammenhängend, doch finden
sich auf den zweiten Blick subtile Verknüpfungen, welche ein Narrativ
erzeugen, das letztendlich eher als Bild nachwirkt, und eine feine
und mitunter humorvolle Annäherung an ein historisch vereinsamtes
und tabuisiertes Gebiet darstellen. Der beschriebene Ort entfaltet
sich auch symbolisch als gedanklich-emotionaler Komplex zu Konflikten,
die die Verstummung einer Nachbarschaft beleuchten und fragile Potentiale
einer vorsichtigen Annäherung beinhalten.
Eine projizierte Animation führt die Betrachtenden durch eine mit
bildgenerierenden Computerspielprogrammen erzeugte virtuelle Landschaft
von zerfallenden Holzhütten in einem düsteren, nebligen Wald. An die
Bewegung des während der virtuellen Kamerafahrt vom Wind geschüttelten
Laubes sind Ventilatoren gekoppelt, welche im Raum realen, unterschiedlich
starken Wind erzeugen.
Dabei betont die offensichtlich abstrahiert konstruierte Verbildlichung
den fiktiven, zeichenhaften Charakter des Ortes der Ereignisse als
stimmungsmäßigen Träger für verschüttete Erinnerungen.
Auch eine Serie von verblassten Fotografien eines zerstörten Waldes
entstammt der virtuellen Bildkonstruktion und schließt, als verunklärte
vermeintliche Dokumentation den Texten gegenübergestellt, den Kreis
der Installation.
Der erste Text beschreibt eine junge Tschechin, die am Ende des Ersten
Weltkrieges vergeblich versucht, einem tödlich verwundeten deutschen
Soldaten zu helfen oder ihn während seines Sterbens zumindest zu trösten.
Der letzte Text schließt an diese Szene an und beschreibt die Verhaftung
einer Aktivistengruppe im Jahre 2014, die etwas pathetisch versucht,
die Replik eines Gedenkkreuzes am Original-Ort wieder zu errichten.
Zwei erfolglose Gesten der Barmherzigkeit - im Spannungsfeld einer
leidvollen und von Entfremdung und Gewalt geprägten, heute jedoch
beiseite geschobenen Geschichte. In der aktuell von wirtschaftlicher
Dominanz bestimmten neuen Beziehungswirklichkeit der deutschen und
tschechischen Gesellschaften sind diese Texte eine bemerkenswerte
und befreiende gedankliche Klammer für einen Schatz von Aufarbeitungsmöglichkeiten
für eine zukünftig tiefere menschliche Verbindung.
Peter Haury und Sylvia Winkler
Im Rahmen eines Austauschs zwischen Brünn und Oberwelt, die unter
dem Titel "shipping closer"
Ende Oktober dort war.
Eröffnung: Freitag, 12.
Dezember 2014,
19.00 Uhr
Ausstellung bis 22. Dezember
Besichtigung Mo. 21.30 bis 24.00 u.n.V. unter Tel: 0711-6071383