Oberwelt e.V.
Reinsburgstrasse 93 D 70197 Stuttgart Tel. + Fax: +49 711 6150013 kontakt[at]oberwelt.de www.oberwelt.de




Begrüßung durch Thomas Ulm

Einführung durch Dr. Gerhard Oberlin

Performance "Herberts Sohn"
von Hannelore Kober







Performance von Iris Hellriegel und Ellen Rein



















Miriam Abdelmoula
"Disturbia", Mixed Media auf Leinwand,
70x100cm

Pia von Aulock o.T. Öl auf Hartfaser 36x 26 cm

Beate Baumgärtner "Frische Luft (aus der
Werkreihe ´Chatbook´)"
Gelasertes Furnier, C-Print auf Selbstklebefolie
40 x 40 cm

U!!i Berg "Kafkas Notizbuch"
Buch mit 20 Zeichnungen

Conny Blom, "Du hast...", Digitaldruck

Milivoje Bogosavljevic "Scream", 1985
Kohle, Pastell, 140x180 cm

Installation Michaela Braun / Clare Chapman
"Inventory of a conversation"



Julia Brodauf "Janus: Kafka" Vinylradierung
42x28x2 cm

Jörg Buchmann (Detail)
Klaus Bushoff
"Dümpeln im Wörtermeer",
"Ertrinken im Buchstabenfluss"
Buntstift auf Kopie



Pola Dwurnik "The Judgement"
Zeichnung/Collage auf Papier

Daniel Eltinger
"der ersehnte, der vorenthaltene, der ersehnte"
Acryl auf Leinwand, 190 x 100 cm

Ute Z. Würfel / Karin Förster

Karin Förster "Kafkas eS und Stimmungen einer
Nacht", Zeichnung, Malerei, Gipsdruck
Künstlerbuch (Unikat) 50 x 70 x 20 cm

Ute Z.Würfel "Kafkas Urteil"
(aus dem Skizzenbuch)
Laser-Print-Edition

Pippi Frank
"So help me Pippi (Die Büchse der Pandora) -
Franz Kafka 1883 - 1924"
Hartschaum, Kaugummi, Blattgold, Kristalle...

Johannes Gérard "Kafka: Das Urteil"
Fotografie

Kurt Grunow "Equipment"
Acryl auf Holz, Filz, Stahl, Karton

Günter Guben "Zu F.K. Das Urteil"



Markus Hallstein "Ehe ich jedoch den Brief
einwarf, wollte ich es dir sagen"
Stifte, Faden auf Papier, 29,7 x 21 cm

Annette Haug & Heiko Volz
"Das Urteil des Vaters"
Video von Performance

Peter Haury "Brunnen"
Herrenschuh, Wasser, Licht etc.

Oliver Herrmann "Der Fluss"
Video (Loop) in Rahmen, 60 x 40 cm

Ulrike Jacobi ohne Titel
überarbeitete Lithografie, Collage, 50x30cm
Michael Jochum o.T. (aus dem Projekt
Selbstportrait)

Eva Koberstein "Petersburger Projektion"
Acryl auf Holz, 15x20cm

Markus Koch
"Free your mind and your ass will follow"
Collagen, verschiedene Papiere
& 2 Bauchnabel, je 21x29cm

Stephan Köperl / Sylvia Winkler
Abwesenheitsnotiz auf erste 100 empfangene
e-mails

Fabian Kühfuß / Mario Ohno
Live-Stream-Übertragung einer Performance in
Nürtingen

Artur Kurkowski "Bin ich jetzt gut zugedeckt?"
Öl auf Leinwand, 50x70cm

Hui Ling Lee "Duende" Photomedia, 13x10cm

Nadine Lindenthal "Life is a killer"
Mischtechnik auf Papier, 50 x 65 cm

Stefan Malicky "Brief"
Mixed Media in Briefkuvert

Jan-Peter Manz "Du bist Laika!"
Spezialton, Farbe

Natalia Matta-Landero
"Artistic response to Kafka´s The Trial"
cutting and reassemble, Papier

Andreas Mayer-Brennenstuhl
"Schatulle / Polizei von rechts!" (Video)
Schmuckschatulle auf Podest, Videobildschirm



Brigitte Neufeldt / Michaela Sadlowski
"Die Loslösung", Video, Objekte aus Knetmasse

Wolfgang Neumann "Urteil 1, 2 & 3"
Radierungen, 14,7 x 14,7 bzw 19,7 cm



Joachim Peter
"Ich bin die Mutter meines Vaters"
Wandschriftzug, ca. 120 x 12 cm

Klaus Pinter, untitled prints, 10 x 15 cm




Katja von Puttkamer, Raum `Stadtmalerin´, Papiermodell 12 x 18 x 14 cm

Stefanie Reling / SPAMMUSEUM, RE: Für
Fräulein Felice B. 31 x 24 cm

Heike Sackmann
"Durch alle Instanzen" Collage auf Photopapier,
40 x 50 cm

Yutta Saftien "The others
Hommage to Franz Kafka II"

The others
Hommage to Franz Kafka I
Acryl auf Leinwand 100 x 100 cm

Kerstin Schaefer "Brief an den Vater, mit links"
Markergrafik auf bluem Papier, 80 x 60 cm

Rüdiger Scheiffele "Kafka-Improvisation",
Öl auf Leinwand, 70 x 100 cm
Rainer Schlecker "F.K. - FKK-Kur"
Aquarell, Feder
Ulrich Stürmer / Jochen Schlöder
"Auflösung - Peter Begon - Der Film"
Video, 44:17 Min., Gips, Löseflüssigkeit,
Kanister

Peter Schmidt "Das Zimmer"
Fotografie, 24 x 36 cm
Julia Schrader "Urteil"
Ponyhaare, Wachs
Johanna Smiatek
"Eine Tüte voll Hoffnung / A bag full of hope"
Glimmerpigment, Plastiktüte, Sprühlack,
Spiegelkarton, 21 x 29,7 cm
Smu Reb "Obsession" 40x60 cm
Thomas Ulm "Omnibus"
Bleistift, Handschrift auf die Wand
Thomas Ulm "In seiner Jugendzeit"
Video, 1:38 Min.
Thomas Ulm "Return to Sender"
Digitaldruck, Kafka-Font, 4 x gestempelt, A3,
mp3-File

Vortrag von Dr. Gerhard Oberlin zur Finissage am 3. 9. 2013

Die Büchse der Pandora - 100 Jahre Franz Kafkas "Das Urteil"

Gruppenausstellung


(english) Sechzig Künstlerinnen und Künstler aus dem In- und Ausland sind der Einladung von Oberwelt e.V. zur Teilnahme an der Gruppenausstellung Die Büchse der Pandora – 100 Jahre Franz Kafkas 'Das Urteil' gefolgt.

Ihre gezeigten Werke stehen entweder in direktem Bezug zur Erzählung 'Das Urteil' oder gehen auf eine künstlerische Auseinandersetzung mit Kafka in längeren Zeiträumen zurück.
Beide Wege zeigen sich in einer großen Vielfalt von Medien als Ausdrucksformen. Sie reicht von Malerei, Zeichnung, Druckgrafik, Fotografie und Collage über das Wandobjekt, die Kleinplastik und Installation bis zu Video und Performance.

Die inhaltliche Struktur der Präsentation, die all diese Medien durchmischt, schafft die Möglichkeit, in einen Dialog mit der aktuellen künstlerischen Kafkarezeption anhand interpretatorischer und ästhetischer Gesichtspunkte zu treten.

Die Ausstellung bildet den zweiten Teil der Doppelveranstaltung Die Büchse der Pandora – 100 Jahre Franz Kafkas 'Das Urteil', die im April 2013 mit einer Lesung der Erzählung (Susa Ramsthaler) und einem anschließenden literaturkritischen Vortrag (Dr. Gerhard Oberlin) begonnen wurde.

Zur Finissage hat Dr. Gerhard Oberlin zwei weitere Vorträge gehalten, über Kafka und die Kunst, sowie über Aspekte zahlreicher Werke in der Ausstellung.

Der Charakter als Doppelveranstaltung liefert zugleich das Muster für die ganze Veranstaltungsreihe 'Reflexe', die noch vor Ende des Jahres fortgesetzt wird.


Mit kleinem Performance-Programm bei der Eröffnung.
Die Einführung hält Dr. Gerhard Oberlin.

Besichtigung bis 3. September 2013, Mo. 21.30 – 24.00 Uhr u.n.V. unter Tel.: 0711 6363464 oder 51876346

Beteiligte Künstler/innen
Miriam Abdelmoula
Pia von Aulock
Beate Baumgärtner
U!!i Berg
Conny Blom
Milivoje Bogosavljevic
Michaela Braun
Julia Brodauf
Jörg Buchmann
Klaus Bushoff
Clare Chapman
Heinrich Dosedla
Pola Dwurnik
Daniel Eltinger
Karin Förster
Pippi Frank
Johannes Gérard
Kurt Grunow
Günter Guben
Markus Hallstein
Annette Haug
Peter Haury
Iris Hellriegel
Oliver Herrmann
Ulrike Jacobi
Michael Jochum
Hannelore Kober
Eva Koberstein
Markus Koch
Stephan Köperl
Fabian Kühfuß
Artur Kurkowski
Hui Ling Lee
Nadine Lindenthal
Stefan Malicky
Jan-Peter Manz
Natalia Matta-Landero
Andreas Mayer-Brennenstuhl
Brigitte Neufeldt
Wolfgang Neumann
Mario Ohno
Joachim Peter
Klaus Pinter
Katja von Puttkamer
Ellen Rein
Stefanie Reling
Heike Sackmann
Michaela Sadlowski
Yutta Saftien
Kerstin Schaefer
Rüdiger Scheiffele
Reiner Schlecker
Jochen Schlöder
Peter Schmidt
Julia Schrader
Johanna Smiatek
Ulrich Stürmer
Thomas Ulm
Sylvia Winkler
Ute Z. Würfel

Ausschreibungstext: Einladung zur Teilnahme

Unter dem Titel "Die Büchse der Pandora – 100 Jahre Franz Kafkas Das Urteil" veranstaltet die Oberwelt e.V. in ihren Räumen eine Ausstellung.
Die Teilnahme steht allen Künstlern offen, die sich von dieser exorbitanten Geschichte künstlerisch inspirieren lassen wollen.

Sie wird hiermit ausgeschrieben.

Anmeldeschluss ist der 31. Mai via kontakt(at)oberwelt.de oder postalisch; auch Performance willkommen; Abgabetermin und Aufbau sind der 17. und 18. Juli.

Ausstellungseröffnung: Freitag, 19. Juli 2013, 19:15 Uhr
Einführung: Dr. Gerhard Oberlin
Oberwelt e.V., Reinsburgstraße 93, Stuttgart-West

Im Mai ist es genau 100 Jahre her, dass Franz Kafkas Geschichte "Das Urteil" in Max Brods Jahrbuch "Arcadia" das Licht der literarischen Welt erblickte. Das kleine, im Originaltyposkript 17 Seiten kurze Werk war in der Nacht vom 22. auf den 23. September 1912 "wie eine regelrechte Geburt mit Schmutz und Schleim bedeckt" aus seinem Urheber hervorgegangen, wie dieser am 11. Februar 1913 in sein Tagebuch schrieb. Es blieb zeitlebens die ihm "liebste Arbeit", während er den größten Teil seines Gesamtwerks später vernichtet sehen wollte. Ein Erfolg zu Lebzeiten war die Geschichte nicht. Die Arcadia-Auflage von 1000 war auch noch 1919 nicht vergriffen. Da lag allerdings "Das Urteil" bereits als 80-Groschen-Heft der Nummer 34 in der Edition "Der Jüngste Tag" im Kurt Wolff Verlag vor, der es in zweiter Auflage seit 1916 höchstens zwei- bis dreitausend mal verkaufte. Heute gilt die Geschichte als eines der exorbitantesten Werke der Weltliteratur, in dem sich die Ichzerfallenheit des modernen Menschen wie in keinem anderen davor oder danach widerspiegelt.

Stuttgarter Zeitung vom 2. August 2013

Vorträge von Dr. Gerhard Oberlin zur Finissage am 3. September 2013 in der Oberwelt

KAFKA UND DIE KUNST
Ich beginne mit 2 Episoden aus Kafkas Leben, das vor 130 Jahren am 3. Juli 1883 in Prag begann.
Erste Episode: Der junge Gustav Janouch, der Anfang der 20er Jahre das Gespräch mit Kafka suchte und dieses aus der Erinnerung dokumentierte, zeigte ihm eines Tages eine Sammlung mit Federzeichnungen, die vor und während des Ersten Weltkriegs die Titelseiten der Wiener-Kronen-Zeitung zierten, einer Illustrierten der Regenbogenpresse. Als sie beim Bild einer zerstückelten Prostituiertenleiche ankamen, sagte Kafka: "Brr, wie scheußlich!" Auf Janouchs Einspruch: "Es ist ein Bildersalat − bunt wie das Leben", sagte Kafka: "Nein, das stimmt nicht. Die Bilder verdecken mehr als sie enthüllen. Sie gehen nicht in die Tiefe, wo alle Widersprüche miteinander korrespondieren. Die Darstellung eines Vorganges ist hier nur ein Mittel zum Geldverdienen. In dieser Beziehung sind die Bilder der
Kronen-Zeitung eindeutiger und darum minderwertiger als die primitiven Holzschnitte der alten Jahrmarktsmoritaten.
Die boten noch einen Anreiz der Phantasie, mit welchem man über sich hinausreichen konnte. Das tun diese
Zeichnungen nicht. Sie brechen der Vorstellungskraft die Flügel. Das ist ganz natürlich. Je mehr sich die Bildertechnik verbessert, um so schwächere Augen
haben wir. Der Apparat lähmt die Organe." (Was wollen wir da heute sagen?!)
Zweite Episode: Als es 3 Jahre nach Entstehung des "Urteils" darum ging, eine Titelgrafik für "Die Verwandlung" zu finden, äußerte sich Kafka ungewöhnlich besorgt in ungewöhnlich emotionalen Briefzeilen an den Verleger Kurt Wolff am 25. Oktober 1915. Auf keinen Fall dürfe der Käfer, in den Gregor Samsa sich verwandelte, abgebildet werden: "Das Insekt selbst kann nicht gezeichnet werden. Es kann aber nicht einmal von
der Ferne gezeigt werden. Wenn ich für eine Illustration selbst Vorschläge machen dürfte, würde ich Szenen wählen, wie: die Eltern und die Schwester im beleuchteten Zimmer, während die Tür zum ganz finsteren Nebenzimmer offensteht."
Der mit der Titelgrafik beauftragte Ottomar Starke setzte diesen Vorschlag ungefähr so in eine Zeichnung um, die Kafka offenbar befriedigte. Spätere Illustratoren haben sich nicht an das Verdikt des Autors gehalten.
Was haben die beiden Episoden gemeinsam? Offenbar sieht Kafka eine Diskrepanz zwischen Darstellungsinhalt
und Darstellungsmittel. Wenn das eine im anderen aufgeht, fehlt eine Dimension, die zum Anstoßder
selbstständigenVorstellung nötig ist, die also die Fixierung auf den Augenschein verhindert und das Bedeutungsspektrum zum Leuchten bringt.
Was, wenn nicht dies, hat Kafka in der zweiten Episode
bewogen, auf diese (für ihn ungewöhnliche) Art die Freiheit der Kunst zu beeinflussen? Misstraute er dem Künstler, der Kunst generell? Sich selbst? − Stellen wir uns nur für einen Augenblick einen (noch so monströsen) Käfer auf dem Titelblatt des Buches vor.
Was hätte er mit dem Titel "Die Verwandlung" zu tun? Ließe sich ein Käfer zeichnen, der Gregor Samsa heißt? Der vielleicht gerade aus dem Traum erwacht? Der die Eltern beim abendlichen Krisenrat belauscht?
Dessen Stimme und Essmanieren immer "tierhafter" werden? Ein Käfer, der seine Menschenschwester abgöttisch liebt, wenn sie Violine spielt?
Was kann die Kunst, was die Literatur nicht kann? Was kann die Kunst eher nicht? Nun, wir haben es in der ersten Episode gehört: sie kann (nach Kafka) nur schwer die Spitze des Eisbergs und den Koloss darunter gleichzeitig zeigen und dazuhin noch die Molekülstruktur des Eises neben dem es umgebenden Meer mit seinen sämtlichen Inhalten und und und
Will heißen: Vorgänge im gesellschaftlichen und seelischen Untergrund, die noch ganz Gegenwart sind und schon ganz Zukunft, finden sich in bildnerischen Fixierungen nicht leicht wieder. Das Bild tendiert zur Statik, die Erzählung zum Fluss.
"Wir können die Dinge nicht statisch darstellen", sagt Kafka über jüdische Mentalität.
Dazu kommt das Problem, Phantasmagorien, also Innenbilder wie der Käfer, oder auch nur Metaphern in der Schwebe zu lassen. Kunst legt vielleicht leichter fest, wo Literatur leichter offen lässt. Kommt das Imaginierte ins eindeutige Bild, so Kafkas Befürchtung, wird die Imagination beim Betrachter festgelegt. Imaginationen sind aber das Herz der Kunst und Kunstrezeption.
Es schlägt nie bei allen gleich.
Über Imaginationen assimilieren wir die Welt zur unsrigen. Sie sind also unsere Art dem Fremden Zutritt in unser Inneres zu gewähren. Sie sind, wenn man so will, die noch erträglichen Kompromisse zwischen uns und der Welt. Das entspricht seit langem psychologischen und seit neuestem auch neurobiologischen Erkenntnissen.
Eine solche Imagination ist der Käfer, wie wir ihn uns vorstellen. Nur diesen vorgestellten Käfer gibt es. Auf Schreibpapier bleibt er in der sprachlichen Zwischenwelt. Auf Malpapier will er − Käfer sein, der nicht irgendwie anders heißen kann. Man hat Kafka gefragt, weshalb er seine (notorischen!) Zeichnungen, die er "Schmierereien" nannte, nicht vor dem Papierkorb verschone. Viele befinden sich noch im bisher unzugänglichen
Nachlass von Max Brod, 40 davon sind bekannt, vielleicht 20 haben Karriere gemacht: Skizzen, grotesk, karikaturhaft, dynamisch, immer nur Menschen. Sie erinnern mal an Chagall, mal an Kubin, mal an afrikanische Strichmännchen. Max Brod hatte Pläne, sie in einer Sammlung zu veröffentlichen. Das unterblieb, aber die wenigen, die bekannt sind, kennt kaum einer nicht.
Kafkas Ästhetik hat viel mit jüdischen Wurzeln zu tun, deren er sich mit der Zeit immer mehr bewusst wurde. "Höre, Israel!" spricht Gott sein Volk an. Das Ohr ist das Organ für das Wesentliche, das Auge unterliegt dem Bildverbot: "Du sollst Dir kein Bild machen!" Die Sprache ist der Wahrheit näher. Aber auch sie darf den Namen nicht aussprechen. Töne, vor allem große, sind suspekt, Musik ist trügerisch, Harmonien lullen ein.
In seiner letzten Geschichte Josephine, die Sängerin oder das Volk der Mäuse wird schon im Titel klar, dass Gesangskunst (also Kunst!) erstens alles ist und zweitens aber nichts, denn Essenz gibt es letztlich nur im Piepsen, Pfeifen, Verstummen. Nur die leistesten der Töne kommen der Wahrheit nahe.
Kafkas (nie geschriebene) Ästhetik ist eine bis zum Äußersten reduzierte Lautkunst, die er als (eher schweigsame) Wortkunst umsetzt. Seine Vorleseobsession macht das anschaulich. Er
lachte sehr gern, wenn er vorlas − während seinen Zuhörern das Lachen verging.
Der Schrecken im "Urteil" ist künstlerisch dargestellt worden. Ich kannte vor unserer Ausstellung lediglich eine Radierung aus dem Jahr 1967 von der Polin Marta Kremer, sie zeigt in solidarischer Untersicht den von der Brücke fallenden Georg in Rückenlage, mit Riesenhänden, begrölt und beglotzt von einem
anonymen Publikum am Brückengeländer. Wie in vielen Bildern dieser Ausstellung geschieht das Leiden der Figur in der Öffentlichkeit, ist gar, wie im Roman Der Prozess, eine öffentliche Hinrichtung. In der Geschichte kennzeichnet das sich plötzlich umkehrende Größenverhältnis von Vater und Sohn den Wendepunkt, der zum Tode führt. Das ist kein Privatkonflikt. Kein Generationenkonflikt ist privat. Und es ist ja weit mehr als das: es ist die Struktur im Kleinen, in der Familie, die die großen Strukturen am Werk zeigen: den Betriebsapparat,
den Staatsapparat, den Wirtschaftsapparat. Das Kippen der gewohnten Machtbalance: die 'Macht der Ohnmacht' gehört zur bürgerlichen Apokalypse, die in Kafkas Geschichten so banal ist wie das Böse im 'Dritten (und hoffentlich letzten) Reich'. Der Umschlag vom Alltag zum Terror ist nie weit, der Terror ist im System angelegt, der Alptraum gehört zum Traum. Immer schwappt etwas über oder ist dicht davor, immer laboriert etwas an der Kippe, immer zeigt etwas Zahmes Zähne oder etwas Bezahntes wird zahm. Kein Zustand ist also stabil in diesen Figuren; es gibt überhaupt keinen Zu-stand, sondern nur Er-liegen. 'Zu-stand' (von 'stehen') ist bei Kafka immer eine
aufrechte Liegestellung, ein mühsam aufschobenes K.O. In dieser Welt des Scheinfriedens ist keine Beschaulichkeit, alles rollt − aus dem Gleis.
Warum ist das so? Die Welt, wie Kafka sie erlebt, ist keine Welt für Menschen. Sie ist in ihn hinein, statt um ihn herum gebaut.
Er ist ihr Baumaterial, nicht umgekehrt. Der Mensch des
Anthropozän, um es (gegen Kafkas Willen) etwas großspurig zu sagen, arbeitet gegen seine Evolution an seiner De-humanisierung, ja De-hominisierung, er manipuliert an seiner anthropologischen Substanz. Er ist − als Thema der Kunst − Opfer und Täter gleichzeitig, so wie Georg Bendemann und sein Vater Opfer und Täter zugleich sind. Man könnte (wieder zu großspurig!) von einem globalen Masochismus sprechen, der das Opfersein so wenig verständlich macht wie das Tätersein.
Kafkas Geschichten zeigen immer beide Seiten der Medaille (und schließen andere Seiten nicht aus).
Es wäre daher auch zu einfach, Kafka als Ankläger der
Industrie- und Massengesellschaft, der Staatsapparate, als Prophet des Herrenmenschentums und seiner Millionen Opfer zu stempeln − obwohl er das als Zeitgenosse der Expressionisten natürlich auch ist! Er ist eines aber immer gewiss: ein radikaler Parteigänger des Menschen in seiner evolutionären Trägheit, seiner viel zu großen Verletzlichkeit − und er ist (zwar widerwillig) ein Pionier der psychologischen Introspektion, die ihn zu seiner speziellen, mythenähnlichen Parabelsprache befähigt, wie sie bisher keiner nachahmen
konnte.
Als Gustav Janouch ihn zu einem Bild von George Grosz aus dem Band Das Gesicht der herrschenden Klasse (1921) befragte, das den Kapitalismus als Allegorie mit Zylinderhut thronend über Menschen zeigt, sagte Kafka, dass das ja alles viel komplexer sei; die Allegorie sei irreführend, weil viel zu vereinfachend: "Der dicke Mann ist aber der Kapitalismus, und das ist nicht mehr ganz richtig. Der dicke Mann beherrscht den armen Mann im Rahmen eines bestimmten Systems. Er ist aber nicht das System selbst. Er ist nicht einmal sein Beherrscher. Im Gegenteil: der dicke Mann trägt auch Fesseln, die in dem Bild nicht dargestellt sind. Das Bild ist nicht vollständig. Darum ist es nicht gut. Kapitalismus ist ein Zustand der Welt und
der Seele." (J 102)
In diesen Worten zeigt sich in der Angst vor der Vereinfachung auch die Angst vor großen Themen überhaupt, auf die Kafka oft genug (und wohl zu oft) reduziert wird. Sein eigentliches Gebiet ist umrissen vom naturgemäß kleinen Erlebnishorizont des Individuums. Hierhin hält er seine Lupe. Wenn man den Menschen von Nahem sieht, wird er erst menschlich. Will man ihm schaden, ihn gar zerstören, greift man zu fernwirkenden
Waffen. Kafkas ganzes Werk ist eine einzige Kampfansage an die tausende Versuche das Menschliche wegzuabstrahieren. Im Licht seiner Kleinepisoden im Leben des Menschen erscheinen
dann Ideologien und andere Überkonstruktionen zwar als
anthropozid, menschenvernichtend, aberes fehlt der
Zeigefinger auf den Schuldigen. Keiner, so das Kafka'sche Brevier, ist unschuldig. Die Stärke dieser Literatur, das Wunderbare ist somit gerade im Anti-ideologischen das Unideologische als ästhetischer Generalbass. Das spiegelt sich auch in der Sprache, deren (von ihm beargwöhntes) Begriffsvermögen um 100% reduziert ist. Nur der engste Kreis ist wahr: das Konkrete, Einfache, Nahe. Nur der Mensch zählt, nicht seine aufgeblähte Sprechblase im linken Cortex. Da passt es ganz gut, dass Kafka sich selbst als unmusikalisch bezeichnete. Wenn überhaupt, ist nur die
geschriebene Sprache zu ertragen, die leisen Töne − wir
sprachen davon. Sobald eine Stimme sich erhebt, noch gar zum Gesang, wird es unerträglich. Kafka leidet tatsächlich unter einer Hyperakusis (einer extremen Geräuschempfindlichkeit) − und er stirbt, welch Ironie des Schicksals!, an Kehlkopftuberkulose, die ihn in den letzten Tagen Ende Mai, Anfang Juni 1924 endgültig zum Verstummen bringt.
Um wieviel ausgeprägter ist sein Sehsinn. Er bezeichnet sich selbst als "Augenmensch" (J 105) und wenn Künstler in aller Welt sich an Kafkas Werk entlang- und abarbeiten (wie wir hier), ist wohl in erster Linie sein Hang zur verbalen Zeichnung daran schuld. Alles wird vor das innere Auge gestellt, die Welt ist konkret, wie der Sehsinn sie sieht: unverstellt, ungeschützt und unbesprochen. Hier macht sich einerseits die jüdische Tradition bemerkbar, sie zwingt zur Vorsicht und Sparsamkeit: "Du sollst
dir kein Bild machen!" Andererseits aber macht sie den
Tabubruch umso köstlicher: Sie lädt ein zum Eindringen in die letzten Geheimnisse, und zwar durch Worte, die Bilder malen.
Das ist erlaubt, das ist ein Kompromiss. Auf den letzten Metern zur Wahrheit lässt der Autor den Leser ohnehin allein − aus Respekt vor der Wahrheit und aus Respekt vor dem Leser, der seine Wahrheit finden muss. Wahrheit gibt es immer nur die eigene!
Was wir hier um uns herum sehen, sind Bilder, die Worte malen, Kafkas Worte. Kafkas Zeichnungen hängen nicht darunter. Er hielt sich nicht für einen Zeichner, zeichnete für den Papierkorb, sprach von "Geschmiere" und sagte zu Gustav Janouch: "Mein Herumzeichnen ist ein sich ständig wiederholender und misslingender Versuch primitiver Magie." Oder: "Aber das sind doch keine Zeichnungen, die ich jemandem zeigen könnte. Das
sind nur ganz persönliche und darum unleserliche Hieroglyphen. Meine Proportionen, Figuren, sie haben keinen richtigen eigenen räumlichen Horizont.
Die Perspektive liegt vor dem Papier, am anderen, ungespitzten Ende des Bleistifts − in mir."
Kafka hielt sich also nicht (wie Kubin, Kokoschka, Keller,
Goethe etc.) für ein Doppeltalent. Er hat während seines
Jurastudiums an der Uni Vorlesungen in Kunstgeschichte
gehört, war ein Kunstkenner (was man in der Prager Kulisse auch fast zwangsläufig wird), zweifelte aber auch an dieser Kompetenz: "Hast Du vor Bildern Vertrauen zu Dir, ich zu mir nur selten", schrieb er im August 1916 an Felice Bauer, seine Verlobte. Im Übrigen war er, wie gesagt, der Meinung, dass "wir Juden eigentlich keine Maler [sind]. Wir können die Dinge nicht
statisch darstellen. Wir sehen sie immer im Fluß, in der
Bewegung, als Wandlung. Wir sind Erzähler." (J 102)
Ich will diesen Teil mit einer Anekdote beschließen. Kafka
besuchte am Prager 'Graben' eine Ausstellung französischer Malerei zusammen mit dem jungen Janouch. Hier der O-Ton aus Janouchs Erinnerung: "Es waren dort Bilder von Picasso: kubistische Stilleben und rosa Frauen mit riesigen Füßen. 'Das ist ein mutwilliger Deformator', bemerkte ich. − 'Das glaube ich nicht', sagte Kafka. 'Er notiert bloß die Verunstaltungen, die noch nicht in unser Bewußtsein eingedrungen sind. Kunst ist ein Spiegel, der >vorausgeht< wie eine Uhr − manchmal." (J
100)

Literatur (Auswahl):
− Rothe, Wolfgang: Kafka in der Kunst. Stuttgart + Zürich 1979 (Belser Verlag).
− Bokhove, Niels/van Dorst, Marijke (Hg.): Einmal ein großer Zeichner. Franz Kafka
als bildender Künstler. Prag 2006.
−Janouch, Gustav: Gespräche mit Kafka. Aufzeichnungen und Erinnerungen.
Frankfurt/M. 1961 (Fischer Verlag). [hier als Sigle: J].

Zweiter Teil:

BILDER EINER AUSSTELLUNG
Sie finden in dieser Ausstellung, wie man es bei Kafka nicht anders erwartet, nicht nur Werke zum "Urteil", sondern auch generell Arbeiten zum Werk dieses Autors, manche, indem sie Motive wiederholen oder Motivstrukturen aus Kafkas Werk veranschaulichen (z.B. "Die Verwandlung"), andere, indem sie analoge Ausdrucksmittel der Register 'Schrecken', 'Angst', 'Panik', 'Unterwerfung', 'Sehnsucht' usw. verwenden. Letztere kommen aber überraschend undramatisch vor. Sie sind, wenn man von Pola Dwurniks "The Judgement" oder Milivoje Bogosavljevics "Scream", Wolfgang Neumanns Radierungen und Ulrike Jacobis Lithografie absieht, scheinbar gefasst und darin an Kafkas nüchterner Ästhetik angepasst (dazu später noch mehr). Es gibt also eine gewisse Neigung zum Verhalten großer Gefühle. Mit Kafkas Schreckensvisionen, so scheint es, hat man sich überwiegend abgefunden: die Welt ist 'Kafka', kein großes (Psycho-)drama, eher ein Gewohnheits-Dramulett zum Thema Schuld und Sühne, observativ, obsessiv, manipulativ bis zur Perfektion, ja die Perfektion ist selbst Teil der Maschine, die besticht, indem sie zerstört (Ulrich Stürmers und Jochen Schlöders Life-Zerfall auf Video, Michael Jochums Projekt Selbstporträt, Peter Haurys Schuhbrunnen, der gar das Ertrinken mechanisiert und zur reproduzierbaren Ware macht.)
Man erkennt den Grundwiderspruch in der Spezies homo, die sich (nach George Bataille) durch ihre Fähigkeit zur Negation vom Tier unterscheidet − und doch Natur sein will. Man erkennt auch das Zyklische im Schrecklichen: Kafkas Katastrophen sind von denen angerichtet, die sie erleiden bzw. von denen erlitten, die sie anrichten. Täter und Opfer, Richter und Delinquent werden Komplizen. "Das Urteil" thematisiert ja diese Zyklik als Unheilsfabrik, in der Vater und Sohn die erschreckendste Spannung generieren, sozusagen auf Industrieniveau (der Verkehr im Augenblick der Exekution erinnert daran). In all diese Turbulenzen kehrt also auch in dieser Ausstellung Normalität ein, wie ja das Ungeheure bei Kafka immer das Normale scheint. Wir sind nicht geradezu mehr erschüttert, aber wir fragen doch noch immer ungläubig: Ist so der Mensch? Sind wir so wirklich − sind das wirklich wir?
Immerhin ist seit Kafka die Tagesordnung des Schreckens so übervoll geworden, dass wir auf die Frage nicht mehr schlechterdings 'nein' sagen können. Wir wissen inzwischen (z. B.), dass aus dem servilen Untertanen der k. und k. Monarchie der Totalitarismus hervorging; dass die Greuel des Ersten Weltkriegs noch lange nicht der Inbegriff der Schrecken waren, wohl aber deren schreckliches Vorspiel; dass bald der Holocaust auf der (horribile dictu!) Tagesordnung stand, dem auch Kafkas gesamte bis dahin noch lebende Familie zum Opfer fiel − Wolfgang Neumann erinnert daran in seiner stupenden Auschwitz-Radierung). Wir wissen heute noch mehr: z. B. dass es "die Banalität des Bösen" (Hannah Arendt), die totalitäre Person (= den furchtbaren Niemand) gibt; dass die Psyche im erst industriellen, dann technokratischen Zeitalter die kritischste aller Massen ist; dass das sog. "Gewissen" kein anthropologische Privileg, sondern eine erlernte (und wieder verlernbare) Matrix ist. Kafka zeigt uns nicht nur, welche Rollen, wie viele Ichs, welche Handlungsschemata uns in einer dissoziierenden Gesellschaft auf den Leib geschrieben sind. Er macht uns auch klar, dass die Evolution des Menschen in einem grausamen Komödienstadel enden kann. Die Figurine von Jan-Peter Manz mit dem schönen Titel "Ich bin Laika" erinnert nicht nur an die Hündin Laika, die als erstes Lebewesen im Weltraum verglühte, sondern auch ironisch an den 30.000 Jahre alten Löwenmenschen aus der Hohlenstein-Stadel-Höhle. Die alte Wahrheit blitzt auf: homo ist keine auf seine Tiernatur reduzierbare Art mehr, sondern ein Hybrid, der bei dieser seiner Aufführung auf dem Planeten weder den Namen Tier noch Linnés Schmeichelattribut sapiens verdient. Kafkas Bericht für eine Akademie lässt in Sachen Evolution kein happy ending erwarten.
So ist die Lage des Menschen auch in den Werken dieser
Ausstellung nicht verhandelbar. Sie ist, wie sie ist: "Das Urteil" als Knäuel ohne Ende der Natalia Matta-Landero (bedruckte Schicksalsfäden?), oder (existentialistisch) "Life is a killer" der Nadine Lindenthal. Im Bett des Vaters in Artur Kurkowskis Gemälde liegt kein Mensch mehr, sondern eben der Hybrid als "Warrior", als Aggressionsmaschine Eine besonders blasierte Variante mit der Ich-Entfremdung zurechtzukommen, ist in Eva Kobersteins "Petersburger Projektion" dargestellt: der ins ferne Russland projizierte "Freund" in der Doppelfunktion als Sündenbock und Ichideal: multiple Persönlichkeit als Standard.
Der Blick von der Brücke in Oliver Herrmanns Videoinstallation hat sich längst 'eingerichtet'. Wir hängen mit dem Kopf nach unten (statt ihn zu verlieren) − auch Markus Koch unterstreicht das − und sehen den Himmel höchstens als Abgrund. Der Brückenselbstmord als Stunt, der Selbstmörder als Profession: die Täter-Opfer-/Aktiv-Passiv-Einheit als Typus wie das Fliegenabklatschen und Abgeklatschtwerden (Günter Guben), Haarabschneiden und Geschnittenwerden (im Video von Annette Haug und Heiko Volk), Rocklüften und Gelüftetwerden (Pia von Aulock, Guben), Anprangern und Angeprangertwerden (Kurt Grunow).
Über uns waltet eine unheimliche Utopiekonstellation wie in Daniel Eltingers Erlöserfantasie, die die mitleiderregende Nostalgiespannung in Kafkas Figuren zeigt, das Prinzip Warten (denken wir an das Gesetz oder die kaiserliche Botschaft).
Wenn einmal wie bei Conny Blom der Satz "Du hast keinen Freund in Petersburg" auf einem Billboard steht, dann hat sich das Überich-Unbewusste zum (naturgemäß öffentlichen)Skandal entwickelt, dann wird die innere Stimme zum Slogan. Jetzt liegt die Mechanik der Selbstanzeige in nuce vor uns. Sozialpsychologie als Maschinenlehre.
Es wären mehr Titel und Namen zu nennen, als es die Zeit
erlaubt. Ich kann nur hinweisen auf "Disturbia" von Miriam
Abdelmoula (das Verbluten der 'weichen Seele' vor der 'harten' Stadt) − oder das "Ur-Teil" von Julia Schrader, das Kafkas Geschichte auf ein Ding, ein 'uriges Teil' reduziert und uns die Beschönigung des Schrecklichen gleich mitliefert. Oder Thomas Ulms Video "In seiner Jugend", das an die unmenschliche Artistik in Kafkas "Hungerkünstler" erinnert: Leistung als Selbstverbiegung, der perfektionierte Sturz nach oben. In keiner anderen Arbeit wird auch die Perversion des Schönen zur
Maschinenbewegung so dargestellt. Auch Michaela Braun und Clare Chapman bringen diese Perversion auf den Punkt. Sie geben dem Ertrinkenden Schwimm-Flügel mit und zeigen so die regressive Utopie (des Fliegens) im Absturz. Rainer Schleckers "F.K. − FKK Kur" porträtiert Adam-Kafka verschämt in einem Osterhasenparadies, nachdem er "erkannt" und damit seine Unschuld verloren hat − auch dies Ausdruck einer schlimmen (gnostischen) Mechanik.
Mit all dem und mehr kann die Ausstellung aufwarten. Dabei bleibt der Bogen der Lesarten gespannt, wie nicht anders zu erwarten: vom politischen Ansatz (die Videoinstallation von Andreas Mayer-Brennenstuhl) über den soziologischen Zugang ("Das Urteil" von Johannes Gérard) zum religiösen Verständnis (Rüdiger Scheiffeles "Kafka-Improvisation") und schließlich zur psychoanalytischen Lesart (Yutta Saftiens "The Others") etc. Das alles in unaufgeregtem Durcheinander. Zur gewählten "Hängung" brauchte es keine andere Philosophie als eine fatalistische: "Mal sehen, welche Verbindung die Werke eingehen!" Jedes Exponat schlägt die Brücke zum Nachbarn von sich aus. Will sagen: In Kafkas Welt passt eins zum andern − wie in der Büchse der Pandora, wo die Unglücks-Chemie `stimmt' (die Hoffnung in Johanna Smiateks leerer Plastiktüte ist mythosgemäß ausgenommen; sie bleibt in der Büchse). Hätten wir vielleicht wegen der theriomorphen Formen Yutta Saftiens Spinnengewebe neben Smu Rebs "Obsession" hängen sollen oder wegen der Sakralsymbolik Scheuffeles siebenflossigen Fisch neben Brigitte Neufeldts und Michaela Sadlewskis "Loslösung"?
Wer die Hängung (wie neulich Georg Leisten in
der Stuttgarter Zeitung) als "verwirrend" empfindet, empfindet eben richtig und sollte das dem Veranstalter zugute halten. Verwirrend ist unterm Strich aber vor allem dies: dass der kleine Mensch, der bei Kafka Thema ist, so entsetzlich Großes und (vor allem) so große Entsetzlichkeit anrichten kann; dass er will und zugleich nicht will, was er tut; weiß und nicht weiß; baut und zerstört gleichzeitig. Welche Spezies des Planeten leistet sich solchen Widerspruch!? Verwirrend auch, aber ganz Kafka: die fast durchgängige Abwesenheit des O-Mensch-Pathos in dieser Ausstellung, der 'coole' Expressionismus, der auf billige Bilanz verzichtet. So wenig Kafka schreit, so wenig (oder so verhalten) schreien diese Exponate. Wer nicht schreit, hat entweder das Schlimmste schon hinter sich, oder er spart sich den Atem für den nächsten Alarm. Bleiben wir cool, aber wachsam!












Pandora’s Box – 100 years of Franz Kafka’s “Judgement"

Group exhibition
Sixty national and international artists have answered Oberwelt e.V.’s open call to participate in the group exhibition Pandora’s Box – 100 years of Franz Kafka’s “Judgement”.
The exhibited works either directly reference the short story “The Judgement” or re-explore earlier artistic reflections on Kafka. Both approaches cover a large range of media: Painting, drawing, print, photography, collage, wall objects, sculpture, installation, video and performance.
In terms of content, the structure of the presentation that combines all of these media facilitates a present-day artistic Kafka discourse from an interpretative and aesthetic perspective.
The exhibition is the second part of a double event Pandora’s Box – 100 years of Franz Kafka’s “Judgement” that began with a reading of the short story (Susa Ramsthaler) followed by a literary critical lecture (Dr. Gerhard Oberlin). At the same time, the character of the double event provides the structure for the entire event series “reflexes” that will be continued before the end of the year.
At the opening there will be a small performance programme.
Dr. Gerhard Oberlin will hold an introductory speech.
Running till 3rd September 2013
Open Monday 9.30 pm till midnight or by appointment: 0711 6363464 or 51876346

Artists:

Miriam Abdelmoula
Pia von Aulock
Beate Baumgärtner
U!!i Berg
Conny Blom
Milivoje Bogosavljevic
Michaela Braun
Julia Brodauf
Jörg Buchmann
Klaus Bushoff
Clare Chapman
Heinrich Dosedla
Pola Dwurnik
Daniel Eltinger
Karin Förster
Pippi Frank
Johannes Gérard
Kurt Grunow
Günter Guben
Markus Hallstein
Annette Haug
Peter Haury
Iris Hellriegel
Oliver Herrmann
Ulrike Jacobi
Michael Jochum
Hannelore Kober
Eva Koberstein
Markus Koch
Stephan Köperl
Fabian Kühfuß
Artur Kurkowski
Hui Ling Lee
Nadine Lindenthal
Stefan Malicky
Jan-Peter Manz
Natalia Matta-Landero
Andreas Mayer-Brennenstuhl
Brigitte Neufeldt
Wolfgang Neumann
Mario Ohno
Joachim Peter
Klaus Pinter
Katja von Puttkamer
Ellen Rein
Stefanie Reling
Heike Sackmann
Michaela Sadlowski
Yutta Saftien
Kerstin Schaefer
Rüdiger Scheiffele
Reiner Schlecker
Jochen Schlöder
Peter Schmidt
Julia Schrader
Johanna Smiatek
Ulrich Stürmer
Thomas Ulm
Sylvia Winkler
Ute Z. Würfel

In May 2013, it will be exactly 100 years since Franz Kafka’s story “The Judgement” saw the literary light of day in Max Brod’s yearbook “Arkadia”. The short work, only 17 pages in original typescript, emerged from the author on the night of September 22nd, 1912 “as a true birth, covered with filth and slime”, as he stated in his diary on February 11th, 1913. It remained his lifelong “favourite work”, whereas he later wished to have most of his other works destroyed. The story was not blessed with success during his lifetime. In 1919, there were still unsold copies of the original Arkadia print run of 1000. However, “The Judgement” was also available as number 34 in the series of dime novels entitled “Der Jüngste Tag” (English: Judgement Day) published by the Kurt Wolff Verlag. Between two and three thousand copies of this second edition were sold from 1916. Today the story is regarded as one of the most exorbitant works of world literature as the self-disintegration of the contemporary individual is reflected in it as in no other work past or present.

The Oberwelt member Dr. Gerhard Oberlin is literary scholar and author of the recently published analysis of Kafka’s works entitled “Die letzten Mythen” (English: The last Myths)

Gerhard and Ellen Rein proposed the lecture be followed by an exhibition presenting artistic responses to Kafka’s “The Judgement”.

Exhibition opening: 19.7.2013, 7.15 pm

Participation is open to all artists who wish to be artistically inspired by this exorbitant story. This is the official call for entries. Registration by email (kontakt(at)oberwelt.de) or mail till May 31st, 2013, performances welcome. Submission and installation of works July 17th/18th. Introductory talk to be held by Dr. Gerhard Oberlin.



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