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Fotos von der Textperformance: Oliver Herrmann Feh, russisches Pelztier, aus dem der Mantel von Doris gearbeitet war. Stuttgarter Zeitung vom 20. Mai 2016 |
Ich
will so ein Glanz werden, der oben ist – Irmgard Keuns „Das kunstseidene
Mädchen“
Susa
Ramsthaler (Performance) Annik Aicher (Vortrag)
(english)Wie
schaffen es Frauen, dass sie privat, beruflich und gesellschaftlich
anerkannt werden? Diese Frage stellt Irmgard Keun 1932 in ihrem unglaublich
komischen und unfassbar tragischen Roman „Das kunstseidene Mädchen“.
Von der damaligen Kritik wurde das Werk, das zur Neuen Sachlichkeit
zählt, gefeiert – und gleichzeitig misstrauisch beäugt. „Eine schreibende
Frau mit Humor, sieh mal an!“, freute und wunderte sich Kurt Tucholsky
schon bei Irmgard Keuns Erstling, „Gilgi - eine von uns.“ Wer lacht,
hat Macht. Kann, ja darf, eine Frau Humor haben? Und andere Stimmen
behaupten: Keuns Roman ist ein Plagiat. Tucholsky wird dem zustimmen.
Ein berechtigter Vorwurf? Sicher kein verwunderlicher: Wurde vor allem
im 19. Jahrhundert noch auf dem Vorurteil bestanden, dass Frauen nichts
eigenes hervorbringen, sondern nur etwas reproduzieren können. Das Genie
ist immer männlich.
Doris, die 18-jährige Heldin des Romans, laviert sich mit Witz, Biss und Verzweiflung durchs Leben. Durch ein Berlin, dessen „goldene zwanziger Jahre“ nur für wenige glanzvoll waren, durch eine Metropole, die bald im braunen Sumpf der NS-Zeit versinken soll. Irmgard Keun, deren Bücher von den Nazis verbrannt wurden, flieht aus Deutschland. Und schafft es mit der gleichen Verve wie das „Kunstseidene Mädchen“, aus Holland wieder nach Deutschland einzureisen. Geglückt ist ihr das mit einem gefälschten Pass. Den hat sie erhalten, nachdem sie einem holländischen Beamten, „den Penis nach innen geredet“ hat. So erzählt es ihre Tochter Martina Keun-Geburtig Jahrzehnte später in einem Interview. Keun war 1951 mit 46 Jahren zum ersten Mal Mutter geworden. Alleinerziehend. Damals völlig unmöglich. Wie schaffen es Frauen, dass sie privat, beruflich und gesellschaftlich anerkannt werden? Droht dauernde Selbstoptimierung, weil Normalität nicht ausreicht? Diese Fragen stellen sich noch heute. Mehr als 80 Jahre nach Erscheinen des Werks, zeigen Susa Ramsthaler und Annik Aicher, wie frisch und lebendig das „Kunstseidene Mädchen“ noch heute ist. Performance und Vortrag Freitag, 29. April 2016, 19.00 Uhr Wie bisher bei der Reihe Reflexe folgt auf den Abend mit Vortrag und Lesung die Ausstellung. Oberwelt e.V. lädt dazu Künstler/innen ein, sich mit Irmgard Keuns `Das kunstseidene Mädchen` gestalterisch auseinanderzusetzen. Das Wort "Reflexe" steht dabei für einen Vorgang der Widerspiegelung, der weniger illustrativ als deutend ist. Wenn Lesen generell imaginierende "Arbeit am Text" ist, so zeigt die daraus entstehende künstlerische "Arbeit" dies in besonderer Weise. In ihrer Anschaulichkeit wird der Prozess der Durcharbeitung sichtbar, in dem sich das literarische Werk gestalterisch individualisiert. Ausstellung 8. Juli bis 16. September 2016 Ausschreibung Anmeldeformular Stuttgarter Nachrichten vom 2. Mai 2016
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