Mit etlichen Alt-Darsteller/innen von 2004 und genauso vielen neuen gelang im
Schauraum während der gleichzeitigen Faschingsparty in der Hotelbar Kassel
die reibungslose Übertragung des Befehls zum Vollgas von der Kommandobrücke
über den Maschinenraum zu den schwitzenden Heizern an ihren donnernden Öfen.
Annika Schmidt schrieb über den Abend in der Nürtinger Zeitung vom 8.
März 2011
JEDER KANN KATE WINSLETS ROLLE SPIELEN
Das Filmprojekt Wotorworld stellt bekannte Filme nach
NÜRTINGEN. 12,5 Quadratmeter, eine Kamera, ein paar Freiwillige als Darsteller
und Requisiten, die vor Ort verfügbar sind das ist alles, was beim
Dreh für das Filmprojekt Wotrworld benötigt wird. Seit über 14
Jahren beschäftigen sich die Künstler Peter Haury und Jens Hermann mit
der Analyse, der Interpretation und dem lippensynchronen Nachdreh von bekannten
Filmen.
Im Schauraum des Kulturvereins Provisorium in Nürtingen geben die Beteiligten
eine Kostprobe ihrer Arbeit. In einem kleinen, durch milchige Folien abgegrenzten
Raum drängen sich Menschen. Kisten, Stühle, ein selbstgebasteltes Steuerrad
und eine zweckentfremdete aufblasbare E-Gitarre sind die einzigen Utensilien.
Regieanweisungen auf Deutsch, Englisch und Französisch schallen durch den
Raum. Es wird eine Szene aus dem Maschinenraum der Titanic nachgestellt.
Peter Haury und Jens Hermann, beide aus Stuttgart, sind die tragenden Säulen
des Projekts. Jens Hermann ist auch verantwortlich für Dein Klub
in der Stuttgarter Reinsburgstraße, den Raum, in dem sich die Gruppe wöchentlich
montagabends trifft. Peter Haury, der ursprüngliche Initiator des Filmprojekts,
berichtet, dass alles mit dem Film Waterworld mit Kevin Costner begann.
Dieser Film war bei seinem Erscheinen mit 175 Millionen Dollar Produktionskosten
der bis zum damaligen Zeitpunkt teuerste Film überhaupt. So entstand die
Idee, den Film mit viel geringeren finanziellen Mitteln nachzustellen.
Dabei habe der Dreh seine eigenen Spielregeln, erklärt Jens Hermann.
Alles darf nur in diesem 12,5-Quadratmeter-Raum gedreht werden. Deswegen
transportieren wir ihn von Ort zu Ort. Den ganzen Raum habe ich heute in einem
Rucksack hierher gebracht, sagt er weiter.
Am wichtigsten sind bei diesem Projekt jedoch die Darsteller. Für uns
sind die Teilnehmer die Essenz der Kunst und müssen von den Autoren (Anm.
des Interviewten: gesagt war: "ALS Autoren") ernst genommen werden,
meint Peter Haury. Dabei kann jeder mitdrehen, der Interesse hat und sich einbringen
möchte. Der bis jetzt jüngste Schauspieler war acht Monate alt und auch
zwei Hunde wagten sich schon vor die laufende Kamera. Nur auf eine große
Kontinuität der Darsteller wird beim Filmen aus praktischen Gründen
verzichtet. Wer da ist, wird Kevin Costner oder Kate Winslet, Männer-
und Frauenrollen können dabei auch vertauscht sein, erläutert
Jens Hermann. So haben bis jetzt schon über 700 Personen mitgedreht. Da die
Gruppe mit dem transportablen Raum auch international unterwegs ist, beispielsweise
in Russland, Frankreich oder Italien, sind beim Dreh auch häufig Gäste
aus anderen Ländern dabei.
Ist der Raum aufgebaut und die Darsteller gefunden, kann der Dreh losgehen. Der
Originalfilm wird Einstellung für Einstellung analysiert und anschließend
chronologisch nachgedreht. Dabei bleiben manche Teilnehmer für eine Einstellung,
manche für einen Abend und manche kommen nach Jahren wieder, um erneut dabei
zu sein. Im Anschluss an den Dreh werden die Filme nachvertont. Dabei geben sich
die Projektbeteiligten auch mit Details sehr viel Mühe. Das Helikoptergeräusch
ist der Staubsauger in der Milchflasche, so Peter Haury zur Vorgehensweise.
Auf diese Weise sind bereits vier Filme entstanden: Zusätzlich zu Wotørwoerld
Teil eins gibt es noch die Teile zwei bis vier. Dabei wurden außer
Waterworld noch Ferien auf Saltkrokan und ein Manga nachgedreht,
aktuell laufen die Arbeiten an der Neuverfilmung von Titanic.
Um den zahlreichen bisherigen Darstellern die Aufnahmen zugänglich zu machen,
veröffentlichte Peter Haury nach sieben Jahren Arbeit 2009 eine erste DVD
mit dem damaligen Stand der Filme. Die DVD stellt eine Bilanz des Projekts
dar. Aber sie ist nicht verkäuflich. Nur die Darsteller bekommen ein Ansichtsexemplar.
Wir sind daran interessiert, dass die Leute an einem Kunstprojekt teilhaben und
nicht daran, etwas Kommerzielles zu machen.
In Zukunft wollen die Künstler weiterdrehen und es sollen weitere Teile entstehen.
Peter Haury beschreibt das Ziel des Filmprojekts: Es hat einen dualen Zweck.
Einerseits wollen wir große Filme, die uns prägen, analysieren, beispielsweise
die Gesten oder psychologischen Schemata, die darin vorkommen. Andererseits geht
es uns darum, aktiv teilzunehmen anstatt nur passiv zu konsumieren. Auf diese
Weise wird man ganz von der Erfahrung durchdrungen.
Bild Nr. 4: Zeitungsfoto ("Darsteller des Filmprojekts Wotorworld beim Dreh
einer Szene aus `Titanic`")
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